Dass seine Worte so viel Wirbel auslösen würden, hatte Marc Walder vermutlich nicht bedacht, als er vor einem Jahr sagte:
„Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen.“
Zumal der Satz nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, er fiel in einer Onlinekonferenz. Walder, Chef des Schweizer Ringier-Verlags, wies seine Mitarbeiter:innen in der Sitzung damals auf deutsche Medien wie „Bild“ hin, die er mitverantwortlich für Gewalt bei Anti-Corona-Demos machte. Seine Zeitungen hingegen sollten die Pandemie und deren Bekämpfung nicht grundsätzlich in Frage stellen, das war seine Botschaft. Und sie schlug ein.
Denn Ende vorigen Jahres veröffentlichte Philip Gut, früher Inlandschef der Schweizer Zeitung „Weltwoche“, auf der rechten Plattform „Nebelspalter“ einen Mitschnitt aus der Konferenz. Die Empörung über Walders Satz ist auch Wochen danach groß: Von „regierungstreuer Berichterstattung“ ist teilweise die Rede oder von einer „journalistischen Bankrotterklärung“. Walder nennt seine Formulierung inzwischen „unglücklich“ und „überflüssig“; und er entschuldigte sich bei „Bild“. Ganz vorbei ist die Sache damit aber noch nicht.
Denn der Puls ist auch deshalb weiterhin hoch, weil sich die Schweiz in einem Abstimmungskampf über eine Gesetz zur Mediensubvention befindet. Angesichts sinkender Einnahmen sollen private Zeitungen und Onlinemedien mit staatlichem Geld unterstützt werden. Was Walder sagte und wie es die Menschen aufnehmen, könnte für die Abstimmung mitentscheidend sein. Die Umfragen tendieren zwar zu einem Nein, doch nur äußerst knapp. Das Gesetz könnte also immer noch angenommen werden.
In der Debatte darüber geht es um die zentrale Frage: Wer soll für Journalismus zahlen? Und wessen Geld schadet womöglich der Unabhängigkeit?
Untergang und Aufbruch
Die Schweizer Medienlandschaft ist gekennzeichnet von Untergang und Aufbruch. Auf der einen Seite wird ein Großteil der Branche von vier mächtigen Verlagskonzernen dominiert; insbesondere Lokalzeitungen wurden in den vergangenen Jahren im Zuge der Monopolisierung zusammengelegt, verkleinert oder gleich ganz eingestampft. Die Schweizer Medienlandschaft ist heute um rund siebzig Titel ärmer als noch vor zwanzig Jahren.
Medien in der Schweiz
Vier große Konzerne beherrschen inzwischen 90 Prozent des Medienmarkts. Sie haben in den vergangenen Jahren quer durchs Land Redaktionen zusammengelegt und Stellen gestrichen. Die Titelseiten der Lokalblätter sind oft von Basel bis Uri dieselben.
Der TX Group gehören der „Tages Anzeiger“ aus Zürich und etliche Lokal- und Regionalzeitungen. Der Ringier-Konzern hat das Sagen im Boulevardgeschäft und besitzt etwa den „Blick“, die auflagenstärkste kostenpflichtige Tageszeitung. „CH Media“ besitzt viele Lokal- und Regionaltitel und gehört zur Hälfte dem vierten großen Konzern: der NZZ Mediengruppe, die zudem die „Neue Zürcher Zeitung“ herausgibt.
Insbesondere für TX Group und Ringier ist Journalismus nicht mehr das Kerngeschäft, eher ein Prestigeobjekt. Sie verdienen einen Großteil ihres Gelds mit Job-, Möbel- und Immobilienportalen, während die journalistischen Titel immer mehr sparen sollen. Das lukrative Annoncengeschäft im Netz finanziert nicht die Redaktionen, die Einnahmen werden stattdessen in Form von Dividenden ausgeschüttet.
Neben den Giganten gibt es nur eine Handvoll kleine unabhängige Printzeitungen, etwa die genossenschaftlich geführte „Wochenzeitung WOZ“, die „Schaffhauser AZ“, „La Liberté“ der „Bote der Urschweiz“ oder die „Weltwoche“ – und diverse neu gegründet Onlinemedien.
Im Lokalen gibt es zum Beispiel „Zentralplus“ in Luzern, in Basel das Portal „Bajour“ oder „Tsüri“, ein hippes Onlinemedium, das über Gastronomie, Clubs und Lokalpolitik in Zürich berichtet. Überregional verspricht „Republik“, seit einem Crowdfunding 2017, nicht nur den Journalismus, sondern gleich die Demokratie zu retten. Anschubfinanziert von einem Investor existiert das werbefreie Magazin inzwischen über Abonnements; ähnlich wie die französischsprachigen „Heidi News“. Hinzu kommen Projekte wie das Investigativteam „Reflekt“ oder das Portal „baba news“ rund um postmigrantisches Leben.
Gleichzeitig entstanden neue Medien, vor allem Onlinemagazine und lokale journalistische Portale. Doch bisher können sie es mit den Giganten nicht aufnehmen, sie bedienen Nischen. Zu knapp sind ihre Ressourcen, meist finanzieren sie sich maßgeblich über Stiftungen oder Mäzene.
Den Weg aus der Misere soll nun das neue Medienpaket weisen. Dieses ähnelt der Medienförderung, die vergangenes Jahr in Deutschland diskutiert und dann von Wirtschaftsministerium unter Peter Altmaier (CDU) verworfen wurde; inzwischen wird auch hier eine Unterstützung wieder eingefordert, angestoßen vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ).
Das Schweizer Gesetz wurde im Parlament im vergangenen Sommer bereits angenommen. Wie es in der Schweiz aber hin und wieder geschieht, wurde dagegen ein Referendum initiiert. Deswegen kommt die Vorlage am 13. Februar zur Abstimmung. Die Bevölkerung entscheidet.
Vergünstigte Zustellung
Der erste Teil des Gesetzes betrifft die sogenannte Posttaxenverbilligung. Sie ermöglicht es den Verlagen bereits jetzt, Zeitungen mit einer kleinen Auflage zu einem verbilligten Tarif per Post zuzustellen. Davon profitieren Lokalzeitungen wie die „Engadiner Post“, aber auch Verbands- und Vereinszeitungen, etwa die Parteizeitung der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP), oder Kuriositäten wie die „Schweizer Zeitschrift für Pilzkunde“.
Mit dem neuen Gesetz würde erstens diese Förderung erhöht, zweitens die Zustellung frühmorgens und sonntags extra gefördert. Und drittens würden alle Zeitungen von der Verbilligung profitieren – auch diejenigen mit hohen Auflagen, wie etwa der „Tages Anzeiger“. Der gehört zum Konzern TX Group, der fast die Hälfte des Medienmarkts in der deutschsprachigen Schweiz kontrolliert. Somit würden also ausgerechnet diejenigen profitieren, die durch ihren Fokus auf Profit mit dafür sorgen, dass der Zeitungsmarkt krankt.
Die TX Group gehört der Coninx-Familie, das Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ schätzt deren Vermögen auf bis zu 1,5 Milliarden Schweizer Franken. Kein Wunder also, dass die Gegner:innen des Gesetzes mit dem Slogan werben: „Kein Steuergeld an Millionäre, Milliardäre und Aktionäre“.
In diesen Chor stimmt etwa die rechtskonservative „Weltwoche“ ein: „Im Abstimmungskampf zum Mediengesetz liegen sich Kapitalisten und Linksextreme in den Armen und geben zusammen den Song der Staatssubventionen“, wetterte das Blatt. Chefredakteur Roger Köppel legte kürzlich mit einem Text über die ebenfalls steinreiche Familie Ringier nach, die unter anderem das Boulevardblatt „Blick“ besitzt. Dass die „Weltwoche“ selbst seit Jahren die verbilligte Zustellung beantragt, erwähnt Köppel nicht.
Förderung für Onlineangebote
Mit dem Anti-Milliardäre-Slogan trifft das Nein-Komitee einen wunden Punkt, den auch Unterstützer:innen kritisieren. Denn auch der zweite Teil des Gesetzes könnte den Großverlagen helfen: Er soll explizit Onlineangebote unterstützen. Voraussetzung ist, dass diese selbständig Einnahmen generieren, Gratisangebote werden nicht gefördert. Onlineportale großer Medientitel bekämen auch hier etwas ab, weil sie meistens über eine Bezahlschranke verfügen. Sie würden die Anforderung also erfüllen.
Die Onlineförderung soll allerdings nach einem Verteilschlüssel ausgeschüttet werden, der kleine Verlage gegenüber den Großen bevorzugt. Dem Gesetzesentwurf lässt sich noch nicht entnehmen, wie genau dieser Schlüssel aussehen würde, das regelt die Regierung erst nach der Abstimmung in einer Verordnung – sollte das Gesetz durchkommen.
In einem Bericht schlägt das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) bereits ein mögliches Modell vor: Kleine Verlage, die nur einen Titel herausgeben, sollen zwischen 30 und 60 Prozent ihres Umsatzes in Form von Subventionen obendrauf erhalten. Großen Verlagen mit mehreren Titeln sollen nur 2,5 bis 20 Prozent des Umsatzes ausgeschüttet werden. Wer in kleineren Sprachregionen publiziert, müsste zudem nicht so viele Mindesteinnahmen haben, um sich für die Förderung zu qualifizieren.
So würde beispielsweise das unabhängige Onlinemedium „Republik“ verhältnismäßig mehr Geld bekommen als das Onlineportal des „Tages Anzeiger“. In absoluten Zahlen allerdings bekommt Letzterer voraussichtlich dennoch mehr, weil er insgesamt höhere Einnahmen macht.
Das neue Gesetz sieht außerdem eine Förderung für die Infrastruktur des Mediensystems vor. So soll etwa die Schweizerische Depeschen- und Bildagentur „Keystone SDA“ Geld erhalten, genauso wie die Journalismusschule MAZ. Auch Privatradios und das lokale Fernsehen, die bereits jetzt subventioniert werden, würden höhere Summen bekommen.
Wer setzt sich durch?
Aber es gibt ordentlich Gegenwind: Vorstand des Vereins „Nein zu staatlich finanzierten Medien“, der eine Kampagne in der ganze Schweiz fährt, sind unter anderem ein ehemaliger Parlamentarier der wirtschaftsliberalen FDP, ein Medienunternehmer und der bereits erwähnte Journalist Philipp Gut. Mitglieder sind zudem hochrangige Politiker:innen der SVP.
Umso überraschender deshalb, dass die Gegner:innen nicht nur mit Anti-Milliardärs-Rhetorik argumentieren, sondern auch vor angeblichen „Staatsmedien“ warnen. Wenn Verlage Geld vom Staat bekämen, würden sie ihre kritische Distanz zur Regierung verlieren. Was die Kampagne gegen das Gesetz auch bei Anti-Corona-Gruppen anschlussfähig macht; auf ihren Demos machen sie Stimmung gegen das Gesetz. Solche Gruppen waren auch mitverantwortlich dafür, dass es nun überhaupt zum Referendum kommt.
Das Ja-Komitee, das ebenfalls eine Kampagne gestartet hat, sieht dagegen die Unabhängigkeit der Medien eher durch große Geldgeber gefährdet als durch Subventionen. Hinter dem Komitee stehen Politiker:innen von Links bis in die Mitte, vor allem aber Gewerkschaften, Berufsverbände und der Verband Schweizer Medien; außerdem wirbt der Verein „Medien mit Zukunft“ für das Gesetz. Deren Mitglieder sind unabhängige Zeitungen wie die WOZ, aber auch junge Onlinemedien wie etwa „baba news“ oder „Tsüri“. Für diese Medien ist die Förderung von existentieller Bedeutung und könnte über deren Fortbestand entscheiden.
Die Losung des Ja-Komitees lautet: „Ohne Medien keine Demokratie“. Wichtiger als gegen die großen Verlage zu wettern, sei es, die Vielfalt unter den Medien insgesamt zu stärken und Neugründungen zu erleichtern. Dass die Konzerne von der Förderung nicht ausgenommen sind, entspricht für viele Mitglieder des Komitees trotzdem nicht dem Ideal, es ist ein Kompromiss. Das Gesetz ist Resultat eines jahrelangen Gezerres im Parlament.
Die Antwort des Ja-Komitees auf die Kampagne der Gegner:innen lautet: „Stoppt die Blocher Medien“. SVP-Übervater und Chemieunternehmer Christoph Blocher kaufte vor einigen Jahren ein ganzes Imperium an lokalen Gratiszeitungen, die nun seine Ideologie landauf landab per Briefwurf verbreiten. Vor einigen Jahren kaufte zudem seine Tochter Rahel Blocher die Basler Traditionszeitung „BaZ“ auf, später verkaufte sie an die TX Group. Im Jahr 2014 gelang Blocher sogar beinahe ein Coup innerhalb der „NZZ“: Der Verwaltungsrat wollte den damaligen Blocher-Ziehsohn Markus Somm als Chefredakteur einsetzen. Nur der Protest der Redaktion konnte die Übernahme verhindern.
Somm fand stattdessen ein anderes Spielzeug: Seit vergangenem Jahr ist er Chefredakteur des einst linken Satiremagazins „Nebelspalter“, das heute rechtskonservative Kommentare publiziert. Die „Weltwoche“ hat einen ähnlichen Rechtsruck hinter sich. Vor 2001 galt sie als seriöse linksliberale Wochenzeitung. Dann aber übernahm Roger Köppel die Chefredaktion und baute das Blatt zu einem SVP-Magazin um. Köppel, inzwischen selbst Nationalrat der SVP, also Politiker und Journalist zugleich, kaufte das Magazin im Jahr 2004 für einen Spottpreis dem Milliardären Tito Tettamani ab, der den neuen politischen Kurs ebenfalls unterstützte.
Die Autorin
Anina Ritscher ist freie Journalistin und lebt in Basel. Nach ihrer Ausbildung an der Reportageschule in Reutlingen gründete sie zusammen mit zwölf anderen das ‚Selbstlaut Kollektiv‘, einen Zusammenschluss aus freien Journalist*innen. Zudem ist sie Redakteurin beim Schweizer Onlinemagazin „das Lamm“.
Die Befürworter:innen der Subventionen warnen also vor politischer Einflussnahme durch vermögende Medienunternehmer wie Blocher. Wirtschaftsliberale hingegen sehen hier keine politischen Akteure, sondern erfolgreiche Unternehmer. Diese hätten schließlich keine Subventionen nötig.
So lehnt etwa die FDP die Vorlage ab und schreibt in einer Mitteilung: „Der Staat kann und soll nicht alle Finanzierungslücken schließen, die privaten Medienunternehmen entstehen.“ Medien müssten markfähig sein, findet die Partei. Das Vorstandsmitglied und Geldgeber des Nein-Komitees Bruno Hug träumte in einem Gespräch mit der WOZ davon, Lokalzeitungen aufzukaufen und wirtschaftlich in Schuss zu bringen.
Die Redaktionen selbst gehen unterschiedlich mit dem Abstimmungskampf und ihrer zwiespältigen Rolle darin um. Das Onlinemagazin „Republik“ etwa löste den Interessenskonflikt, in dem seine Leser:innen aufforderte abzustimmen. Als Entscheidungshilfe veröffentlichte sie lediglich einen trockenen Faktentext. Eine Mehrheit sprach sich daraufhin in der Umfrage für das Gesetz aus. Andere Medien werben offensiv für das Paket. Darunter etwa die WOZ, die seit Wochen fast in jeder Ausgabe einen Kommentar dazu veröffentlicht und deren Verlagsmitarbeiterin im Vorstand des Ja-Komitees sitzt.
Als eine der wenigen Redaktionen lehnt die NZZ das Paket in ihren redaktionellen Beiträgen ab. Ein Kommentator fand zum Beispiel, wenn jede schwächelnde Branche staatlich unterstütz werde, seien bald die Postkutschen dran. Der NZZ-Verlagsleiter hingegen wirbt für das Paket. Dieser Widerspruch zwischen wirtschaftlichen und ideologischen Interessen zeigte sich bereits während der Pandemie. Die NZZ warnte damals auf der Titelseite vor dem angeblichen „Seuchen-Sozialismus“, weil der Staat angeschlagenen Unternehmen unter die Arme griff. Der NZZ-Verlag nahm die Hilfe gerne an.
Korrektur, 23.2.2022. Wir hatten zunächst geschrieben, das Magazin „Zentralplus“ habe „Tsüri“ als Vorbild gehabt. Das kann allerdings nicht sein. „Zentralplus“ wurde zwei Jahre vor „Tsüri“ gegründet. Wir haben das im Text korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.
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