Der Autor
Jürn Kruse ist Redaktionsleiter von Übermedien. Er hat in Leipzig Journalistik studiert, wurde an der Axel-Springer-Akademie ausgebildet und war acht Jahre Redakteur bei der „taz“.
Es gibt das Phänomen der False Balance: Indem man einen vermeintlichen Experten für die eine, und einen tatsächlichen Experten für die andere Seite zu Wort kommen lässt, kann man aus jedem Thema eine Kann-man-so-oder-so-sehen-Kontroverse machen.
Beispiel: „Schwerkraft – Sollen wir uns das noch antun?“ Irgendein Professor Dr. Wasweißich wird sich schon finden, der behauptet, dass Newton uns mit seinen Gesetzen damals austricksen wollte, und er von Gesetzen eh nichts halte – und man die Schwerkraft eher als Empfehlung ansehen müsse. Da kann sich dann die Gegenseite, hinter der sich die deutliche Mehrheit der Wissenschaft versammelt, mühen, wie sie will, am Ende wird bei einigen Leser*innen oder Zuschauer*innen hängen bleiben: Schwerkraft, auf jeden Fall ein zweifelhaftes Ding, sollten wir uns nicht drauf verlassen.
Sowas kommt von False Balance, von falscher Ausgewogenheit.
Bei „Leben & erziehen“ haben sie die False Balance mal direkt übersprungen – und sind gleich übergegangen zu: No Balance.
„Kügelchen-Alarm. Zehn Homöopathie Vorurteile im Check“, verspricht das Magazin in Ausgabe 4/2021 auf dem Titel.
„Was ist dran an Homöopathie-Vorurteilen?“, lautet die Überschrift über dem dazugehörigen Stück. Der Teaser:
„Viele Eltern schwören auf die sogenannten ‚Kügelchen‘, setzen ergänzend oder alternativ zur Schulmedizin auf die sanfte Therapieform der Homöopathie. Doch es gibt auch viele Vorurteile. Diese haben wir uns im Detail angeschaut – und mit Experten darüber gesprochen.“
Na, das klingt doch nach Aufklärung, nach Faktencheck, nach Expertise. Muss ja auch sein. Schließlich richtet sich „Leben & erziehen“, das laut IVW auf eine Druckauflage von knapp 80.000 Exemplaren kommt, an Schwangere und Familien mit Babys und Kindern bis vier Jahre. Also an eine Zielgruppe, die viele Fragen hat – und der verspricht Chefredakteurin Claudia Weingärtner in einer Präsentation (PDF): „In ‚Leben & erziehen‘ geben wir Antworten auf Augenhöhe, lassen Experten erklären, echte Eltern zu Wort kommen – und sind damit der perfekte Begleiter für die ersten Jahre mit Kind.“
Und tatsächlich: Immerhin sieben Expertinnen und Experten fährt die Redaktion auf, um über die „Vorurteile“ gegenüber der Homöopathie aufzuklären.
Das Problem: Sieben davon sind Homöopath*innen.
Und so lesen sich dann auch die Antworten bei „Leben & erziehen“. Es fehlt jede kritische Einordnung.
Und damit ist das Magazin nicht allein. Immer wieder wird in redaktionellen Teilen von Zeitungen und Zeitschriften für die Homöopathie oder gar spezielle Präparate geworben. Expert*innen sind fast immer Homöopath*innen. Ganz vorne dabei: die Funke Mediengruppe. Die schmückt ihre Homöopathie-Artikel in „Frau von Heute“, „Die Aktuelle“ oder „Echo der Frau“ gar mit einem grünen, vermutlich sowas wie Naturverbundenheit suggerierenden Logo.
!slideshow_deploy!Für Udo Endruscheit beginnt das Problem beim „Leben & erziehen“-Beitrag allerdings schon früher: beim Begriff „Vorurteile“. „Der wissenschaftliche Konsens wird hier zu einem ‚Vorurteil‘ umgedeutet“, sagt er. „Die Dreistigkeit ist enorm.“
Endruscheit ist Sprecher des Informationsnetzwerks Homöopathie, einem freien Zusammenschluss von Expert*innen, die über Homöopathie aufklären wollen. Er ist Homöpathie-Kritiker. Endruscheit wäre ein möglicher Experte gewesen, den „Leben & erziehen“ hätte fragen können, um zumindest auf den False-Balance-Zweig zu kommen. Hat das Blatt aber nicht.
Warum wurden keine Vertreter der evidenzbasierten Medizin oder Schulmediziner*innen befragt, die der Homöopathie kritisch gegenüberstehen? „Wir haben bewusst Homöopathen befragt, da sie auf dem Gebiet der Homöopathie die Experten sind. Genau das erwähnen wir so im Anlauftext (‚Wir haben Homöopathie-Fachleute gefragt, was sie auf die gängigen Vorwürfe entgegnen‘). Einige von ihnen sind Schulmediziner, die auch homöopathisch arbeiten“, schreibt ein Sprecher des Verlags Junior Medien, in dem „Leben & erziehen“ erscheint.
Der Satz steht tatsächlich in dem kleinen Anlauftext. Wie auch die Sätze „Manche Mamas und Papas halten so gar nichts davon …“ Und: „Umstritten ist das Verfahren unter anderem deshalb, weil bei manchen Potenzen so stark verdünnt wird, dass der Wirkstoff molekular nicht mehr nachweisbar ist“.
Wäre es da nicht journalistisch geboten gewesen, zumindest beide Seiten – sowohl die Homöopathen als auch die Gegner dieser Alternativmedizin – zu Wort kommen zu lassen? „Das wäre tatsächlich ein anderer Ansatz für einen Artikel gewesen, doch haben wir uns in diesem Fall dafür entschieden, die Meinung der Kritiker in den Fragen aufzugreifen und dann Experten antworten zu lassen“, schreibt der Sprecher.
Aber: Die Kritik – oder genauer die wissenschaftliche Mehrheitsmeinung – wird hier zum „Vorurteil“ degradiert. Also zu einer laut Duden „ohne Prüfung der objektiven Tatsachen voreilig gefasste oder übernommene, meist von feindseligen Gefühlen gegen jemanden oder etwas geprägte Meinung“.
So wird Wissenschaft zu einem Austausch von Meinungen.
Das erste sogenannte Vorurteil lautet: „Die Wirksamkeit der Homöopathie ist wissenschaftlich nicht belegt, sondern basiert nur auf Selbstbeobachtung. Das ist doch ‚Energie-Hokuspokus‘.“
Endruscheit sagt: „Die wissenschaftliche Lage ist unstrittig: Die bewertete Gesamtschau der Studienlage erbringt keinen belastbaren Beleg dafür, dass Homöopathie für irgendein Krankheitsbild eine spezifische Wirkung entfaltet.“
„Unser Experte“, wie es in der Vorstellung im Heft heißt, „Universitäts-Prof. Dr. Michael Frass“ sagt allerdings: „Auch wenn immer mal wieder das Gegenteil behauptet wird, finden sich in zahlreichen Studien zur klinischen Forschung und der Versorgungsforschung deutliche Hinweise auf die Wirksamkeit der homöopathischen Therapie.“
Vorurteil abgeräumt. Homöopathie wirkt. Was die Leser*innen über diesen Universitäts-Prof. Dr. Michael Frass allerdings nicht erfahren, ist, dass dessen Lehrveranstaltungen im Wahlfach Homöopathie 2018 von der MedUni Wien gestrichen wurden. Rektor Markus Müller begründete den Schritt damit, dass sich „die Med-Uni von unwissenschaftlichen Verfahren und Scharlatanerie klar distanziert“. Im Wiener „Standard“ hieß es:
„Bereits Anfang des Jahres habe Müller dem Arzt zu verstehen gegeben, dass dieser seine ‚persönlichen Interessen – also Homöopathie – nicht mit seiner Funktion als Wissenschafter der Med-Uni Wien vermischen darf‘. Als Frass in Medien den Standpunkt vertrat, dass Homöopathie bei Krebserkrankungen unterstützend wirke und er das mit Studien belegen könne, war Müller irritiert und verärgert. In einem Schreiben forderte er Frass auf, derartige Aussagen nicht mehr öffentlich zu tätigen, und informierte die Ethikkommission. Gemäß den Unterlagen der Kommission seien die Studien, die Frass in Medien zitierte, aufgrund ihrer Methodik und Fallzahl ungeeignet, um daraus einen wissenschaftlichen Beweis abzuleiten.“
Bei „Leben & erziehen“ darf Frass nun genau das sagen: „Die neueste Forschung belegt beispielsweise, dass Homöopathie nicht nur mehr kann als Placebo, sondern auch die Lebensqualität sowie das Überleben von Lungenkrebspatienten verbessern und somit verlängern kann.“
Sicher nur Zufall, dass in Frass‘ Vorstellung im Heft jeder Hinweis auf die MedUni Wien fehlt, die ihm ja laut Rektor zu verstehen gegeben hat, dass er seine Funktion als Wissenschaftler der Uni nicht mit seinen persönlichen Interessen vermischen dürfe.
Und wo wir schon bei Placebo sind: Das zweite Vorurteil: „Homöopathie wirkt nur wie ein Placebo, ich kann meinem Kind auch ein anderes Zuckerkügelchen geben. Bei der geringen Dosierung kann es ja gar nicht wirken. Das funktioniert nur, wenn man daran glaubt.“
Diesmal ist „Unser Experte“ Dr. Martin Lang, Kinderarzt in Augsburg und – natürlich – auch Homöopath: „Der Placeboeffekt beschreibt den Glauben an die Heilung. Sowohl in der Schulmedizin als auch in der Homöopathie macht er etwa 20 Prozent der Therapieerfolge aus. Doch geht die Wirkweise weit über den Placeboeffekt hinaus.“ Er behandle häufig Neugeborene. „Bei der Gabe der richtigen Arznei wirkt es schlagartig (bei anderen Globuli hingegen nicht). Wie sollte beim Baby ein Placeboeffekt stattfinden, wie sollte es an die Wirkung seiner Globuli glauben?“
„Mit so etwas wie Placeboforschung scheint er sich nicht auseinandergesetzt zu haben“, sagt Endruscheit, „sonst wüsste er, dass der Placeboeffekt ein komplexer Vorgang ist, der mit ‚dran glauben‘ nichts zu tun hat. Der Placeboeffekt (…) bildet sich beim Patienten als körperlich-seelische – psychotrope – Reaktion auf den Vorgang der Zuwendung und einer positiven Erwartungshaltung heraus.“
Und wie ist das mit dem Baby und dem Placeboeffekt? „Beim Kleinkind oder Tier spielt die Verfassung der Bezugsperson eine wichtige Rolle“, sagt Endruscheit: „Sie wird vom Kind unbewusst intensiv wahrgenommen. So kann die Erleichterung des Zuwendenden gespürt werden, die sich allein daraus ergibt, etwas tun zu können. Das Zurückspiegeln der Befindlichkeit des Betreuenden versteht man unter dem ‚by proxy‘.“ Damit sei auch das Argument hinfällig, etwas, das bei Kleinkindern und Tieren wirke, könne kein Placebo sein, so Endruscheit.
Der Vorsitzende des Bundesverbands Patienten für Homöopathie, ein Facharzt für Homöopathie, eine Heilpraktikerin, der Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) und eine Kinderärztin mit „Zusatzbezeichnung Homöopathie“ und Diplom von ebenjenem DZVhÄ dürfen dann noch mit verschiedenen Varianten von Stimmt nicht auf die „Vorurteile“ antworten (beispielsweise darauf, dass Homöopathie gefährlich sei, es seltsame Nebenwirkungen gebe, Homöopathie teuer sei oder nicht bei ernsthaften Erkrankungen helfen könne).
Und dann ist da noch Vorurteil Nr. 4: „Die Homöopathie ist völlig veraltet“.
„Da fühlt man sich als Kritiker buchstäblich auf den Arm genommen“, sagt Endruscheit zu diesem „Vorurteil“:
„Denn das ist eine geradezu lächerliche Verkehrung der Debatte. Die Vertreter der Homöopathie sind es, die das Alter ihrer Methode – oder differenzierter: die Tatsache, dass es sie schon so lange gibt – für sie ins Feld führen. Dem wird von Kritikerseite damit begegnet, dass alt einfach nur eines ist: nämlich alt – und als wissenschaftliches Kriterium wertlos.“
Danke an die Hinweisgeber*innen!
Jürn Kruse ist Redaktionsleiter von Übermedien. Er hat in Leipzig Journalistik studiert, wurde an der Axel-Springer-Akademie ausgebildet und war acht Jahre Redakteur bei der „taz“.
Ich finde, dieses Homöopathie-Special geht voll in Ordnung. In unserem materialistischen Zeitalter (»Belege! Beweise! Fakten!«) kriegt diese Heilkunde von allen Seiten so dermaßen auf den Sack, dass man ruhig mal einen schönen Riemen pro Homöopathie runterschreiben kann.
Die Gegner wüten ja weiterhin allerorten. Es sei ihnen gegönnt.
#1 Mit Verlaub: So ein fabelhafter Quark. Es sei denn, meine Ironiebrille muss mal wieder zum Optiker. Either case: Chapeau!
Im Ernst: Finde es auch bei so einem vermeintlichen nebensächlichen Thema („Wenn’s für sie passt, sollen sie doch ihren Zucker knabbern…“) wichtig, am Ball zu bleiben und klar zu widersprechen. Denn es sind meines Erachtens diese „sanften“ Bypässe der Logik, die einige Menschen dazu bringen können, sich überhaupt erst mit dem „Wissenschaft?-Naja-kann-man-ja-alles-so-und-so-sehen“-Framingmuster zu befassen. Genug von diesem Klatschaffen-Input (werbewirksam unterstützt, versteht sich) und es bildet sich eine Pippi-Langstrumpf-Parallelgesellschaft, für die Fakten nicht nur eine Meinung, sondern vor allem eins sind: Langweilig und anstrengend. Und daher ganz schnell optional. Widde-widde-wie-es-mir-gefällt.
Daumen hoch für Artikel und Analyse. Finde das Schwerkraft-Bild sehr schön :)
Dass das Framing-Wort „Schulmedizin“ so häufige Verwendung findet, ist an sich schon false Balance und ein Erfolg der Homöophaten. Es gibt Medizin und es gibt Dinge, die keine Medizin sind: z.B. Schokoriegel, Milch, Wasser, Homöopathische Produkte, Toastbrot, Fanta,…
Und wenn rein pflanzliche Arzneien wirken, etwa Salbei-Tee gegen Halzschmerzen oder Cannabis als Schmerzmittel, sind sie schlicht normaler Teil der Medizin und keiner etwaigen „Alternativmedizin“ oder „natürlicher Medizin“. Die Vermischung dieser Dinge gibt den Homöopathen nämlich viel zu viel Ehre.
Am Ende ist es die kapitalistische Logik, die dafür sorgt, dass Homöopathie doch viel zu erfolgreich ist: Monetär, deshalb auch medial (siehe Artikel) und schlussendlich leider auch darin, Menschen notwendige medizinische Therapien zu versagen.
@#3:
Ich muss Ihnen heftigst widersprechen:
FANTA enthält Acorbinsäure, also Vitamin C und ist somit wirksamer als jedes Globuli in bullshittiger Zigfachpotenz.
Also wenn ich zum Wohl meiner Gesundheit die Wahl zwischen FANTA und Globuli in bullshittiger Zigfachpotenz hätte, würde ich Globuli nehmen!
@5 Geholfen ist dir mit so viel Zucker nicht.
Homöopathie ist Quacksalberei.
Fanta hilft hingegen bei Dehydration.
Tippfehler – Hilfe:
Zweiter Absatz „Schwerkraft – Sollen wir und das noch antun?“
Ich vermute doch, dass das ein ‚uns‘ werden sollte.
Ist korrigiert. Danke! -jk
@6: Ach Quatsch, dass man viel Trinken sollte, ist doch bloß eine Erkenntnis der Schulbiologie. Die alternative Biologie empfiehlt da Kügelchen aus potenziertem Dihydrooxid, das ist viel besser!
Limonade zur Vitamin C Zufuhr und bei Dehydrierung?
Die Fantäopathie scheint mir noch quacksalberischer zu sein als die Homöopathie. Ich lehne zur Sicherheit beide ab.
Darf man jetzt eigentlich sagen / schreiben, dass Homöopathie nicht über den Placeboeffekt hinaus wirkt?
Frage für einen Freund.
Pro Forma:
https://www.youtube.com/watch?v=pU3sAYRl4-k
Wurden denn Vertreterinnen der evidenzbasierten Medizin befragt, ober haben Sie bloß vergessen zu gendern?
@Anderer Max: wenn Sie berühmt sind (d.h., viele kennen Ihr Gesicht) und ein ironisches Video bei yt einstellen, wo Sie ironischerweise fordern, Homöopathie zu verbieten (ironisch!), dann kommen Sie ganz unironisch in Talkshows.
Das hätte es in der DDR nicht gegeben. Mangels Talkshows.
Müssen Sie wissen, ob’s Ihnen das wert ist.
Vielleicht noch ein paar Biontech Globuli oder zur Dilution gefällig?
Homöopathie sollte als Religion betrachtet werden.
Das ähnelt dem Brimborium mit der Hostie ja auch sehr.
Eigentlich ist die Analogie mehr Lourdes-Wasser.
Ist allerdings auch billiger.
Oha, da habe ich aber eine Flasche ins Rollen gebracht… :-o
#12
„Homöopathie sollte als Religion betrachtet werden.“
Second. Sicherlich nicht das erste Mal, das dieser Gedanke geäußert wird, aber für mich das erste Mal, dass ich das lese. Könnte nicht treffender sein. Ein bisschen unfair den Kirchen gegenüber, aber hey :)
„Darf man jetzt eigentlich sagen / schreiben, dass Homöopathie nicht über den Placeboeffekt hinaus wirkt?“
Klar dürfen Sie das.
Den Placebo-Effekt sollten Sie dabei aber nicht geringschätzen, gerade bei Kindern. Wenn Mama ein Zuckerkügelchen gibt und fürsorglich über den Kopf streicht, dann ist das oft schon der halbe Weg zur Gesundung, ohne die große Dosis.
Kluge Leute hören aber damit auf, sobald es ernster ist.
»Kluge Leute hören aber damit auf, sobald es ernster ist.«
So handeln die meisten Homöopathienutzer. Natürlich gibt es immer Ausreißer, die eine Chemo ablehnen und stattdessen lieber um den Lichtyams herumtanzen. Aber das ist natürliche Auslese im Sinne des Darwin-Award.
Was die Kritik am Homöopathie-Special angeht, es seien nur Homöopathie-Spezialisten in Erscheinung getreten: Es ist absolut nachvollziehbar, dass man für ein Special Spezialisten befragt und keine ahnungslosen Schulmediziner, die nebenberuflich Zuckerkügelchenwitze reißen. Warum sollten die gehört werden?
Das hieße ja im Umkehrschluss: Bei jeder journalistischen Langstrecke über die Pandemie müssten neben Epidemiologen, Virologen und Intensivmedizinern mindestens noch ein oder zwei Esoteriker zu Wort kommen. Das will doch auch keiner.
Es ist der halbe Weg dahin, dass das Kind glaubt, gegen jedes Wehwehchen gibt es ein Kügelchen.
Einfach mal in den Arm nehmen und trösten wirkt dann irgendwann nicht mehr.
Meine Mutter will mir bis heute nicht glauben, dass das Meditonsin damals nur per Placeboeffekt wirkte. Rückblickend habe ich mir halt Zuckerwasser in den Rachen gekippt, also eher nicht so zuträglich bei Halsbeschwerden.
Ich vergleiche das ja gerne mit HiFi-Voodoo: Dahinter steckt die Hoffnung, es doch irgendwie besser zu machen, was ja erst mal etwas sehr Gutes ist. Und von der Gutgläubigkeit anderer können einige anscheinend auch ganz gut über die Runden kommen.
Google gibt ja seit 1-2 Jahren auch Standard-Antworten bei Fragen, die es meist aus Frage-Portalen zusammenwürfelt. Bei der Suche nach „meditonsin inhaltsstoffe“ kommt als erste Frage „Ist Meditonsin homöopathisch?“. Die Antwort: „Bei dem Arzneimittel Meditonsin handelt es sich um ein homöopathisches Medikament. Es hilft bei der Behandlung von akuten Entzündungen im Hals-, Nasen- und Rachenraum.“ Man beachte die Formulierung „Es hilft …“. Da steht nichts von Wirksamkeit, gar empirisch nachgewiesen.
Alles ist Marketing, das Spielfeld wird immer komplexer, gerade bezogen auf SEO / SEA / Google, etc.
Zu glauben, man wäre frei von der Anfälligkeit für „bias confirmation“ ist auch nur ein Dunning-Kruger.
Sorry, kein Zuckerwasser, mein Fehler! Das war ein Fehlschluss vom Globuli.
https://www.meditonsin.de/service/packungsbeilage/packungsbeilage-meditonsin-tropfen-deutsch-a4.pdf
„10 g Mischung (19 Tropfen/g) enthalten:
Aconitinum Dil. D5 (HAB, V. 5a) 1 g
Atropinum sulfuricum Dil. D5 5 g
Mercurius cyanatus Dil. D8 4 g
Aconitinum ab D2, Atropinum sulfuricum ab D2 und Mercurius cyanatus ab D4 jeweils potenziert mit einer Mischung aus Ethanol 94% (G/G)/ Glycerol 85%/ Gereinigtes Wasser (5:10:85)“
So richtig schlau werde ich aus der Zusammensetzung nicht.
Ich denke, was da tatsächlich wirkt, ist das Ethanol (beruhigend, leichtes Kratzen im Hals).
Das wäre jedenfalls empirisch nachweisbar.
Mich haben die geringen Potenzen etwas verwirrt, da ist dann ja sogar noch Wirkstoff nachweisbar, zumindest bei D4 / D5.
Nicht vergessen: D8 heißt Verdünnungsfaktor 1:100.000.000
Hilfreich:
https://de.wikipedia.org/wiki/Potenzieren_(Hom%C3%B6opathie)
Die Namen auf Latein anzugeben gehört m. E. auch zum Marketing, also Simulation von Seriösität / Wirksamkeit:
Aconitinum = Eisenhut
Atropinum sulfuricum = Atropinsulfat (z. B. in Tollkirsche, Bilsenkraut, Stechapfel)
Mercurius cyanatus = Quecksilber
Wenn man die nicht lateinischen Bezeichnugnen googelt, kommt man evtl. zu anderen Schlüssen, als der homöpathisch arbeitende „Wissenschaftler“.
Verrückt, dass man heutzutage so viel Geld machen kann mit einer Pseudowissenschaft aus dem 18. Jahrhundert.
Wer heilt hat recht ;)
.
Sicher. Ausländisch kommt immer gut.
Klingt geheimnisvoll, das müssen sehr kluge Menschen sein, die das herstellen.
Es gibt aber noch einen anderen Aspekt: Das Latein ist so üblich in der Medizin. Es hat den Vorteil, dass damit die Bedeutung besser eingrenzbar ist.
Tollkirsche und Gelber Fingerhut kann alles mögliche sein. Die Medikamente Atropin und Digitalis sind nicht irgendwas von irgendjemand aufgelesenes, sondern bezeichnen die aus den Pflanzen gewonnenen Wirkstoffe. Das passt schon.
Ihr argumentativer Fehler liegt darin das sie nur denen Expertise zugestehen die Homöopathie anwenden. Zum Fach gehört aber auch wer sich damit beschäftigt hat und mit guten Argumenten gegen die Anwendung entscheidet.
Das Problem beginnt ja eigentlich schon damit das es eine Zusammensetzung ist. Nach der reinen Lehre Hahnemanns dürfte immer nur ein Wirkstoff gegeben werden. Das wurde aber selbst in bisher H-Kreisen nie be- oder widerlegt.
Und schlau ist daran eh nix. Eine Homöopathische Arzneimittelprüfung besteht darin einen Wirkstoff einzunehmen und die Symptome zu dokumentieren die daraus folgen. Teilweise bis hin zu Gefühlen und Träumen. Die Verdünnung soll dann gegen genau diese Symptome helfen.
Zu Beginn einer jeder H-Behandlung sollte deswegen auch immer eine vollständige Anamnese erfolgen um genau das Präparat zu finden das gegen die Sammlung an Symptomen hilft. Einfach mal irgendwelche Potenzen einwerfen widerspricht ebenfalls der Lehre.
P.S. Besonders lachhaft finde ich ja wenn H-ler der Medizin vorwerfen sie würde nur Symptome behandeln und keine Krankheiten…
Was für ein Zufall: Am Wochenende habe ich das Abo einer TV-Zeitschrift aus dem Bauer-Verlag gekündigt wegen zu viel Quacksalberei und Geschwurbel. Habe mit Ärger immer drüber hinweg gesehen, es ging ja nur um das Programm. Aber als jetzt ein Schwurbler verkünden durfte, er behandele Krebs nur, wenn vorher der Mundraum saniert wurde, was’s dann endgültig zu viel.
Abstimmung mit den Füßen, sozusagen.
@20: „Verrückt, dass man heutzutage so viel Geld machen kann mit einer Pseudowissenschaft aus dem 18. Jahrhundert.“ Yoar, leider sind neben Zuckerkügelchen auch schon Salz und Wasser als unverfänglicher (jedenfalls nicht schädlicher) Träger irgendeines Hokuspokus (Potenzen, „Energie“, „Information“) belegt. Sonst hätte ich schon längst angefangen, mit dem gleichen Geschäftsmodell um irgendeinen billigen Grundstoff herum gelehrt klingenden Schwachsinn zu konstruieren und den Grundstoff dann für das Hundertfache in kleinen Dosen zu verkaufen … falls Ihnen neben Zucker, Salz und Wasser noch was anderes einfällt, immer her damit. :))
Ich bin mir sicher, Sie spielen auf etwas an, aber ich komme einfach nicht drauf, sorry.
Vielleicht „Ausländerhass“ (billiger Grundstoff) und „Ethnoplurasimus“-Thesen (gelehrt klingender Schwachsinn) von z. B. der AfD ?
Öh, nein, einfach auf Schüssler Salze, Hexagonales Wasser, Vollmondabfüllungen … aber für den gesundheitsbewussten Nazi gibt’s natürlich auch entsprechende Wohlfühl“medizin“, mein Favorit ist da seit Jahren das „Rechtsregulat Bio“ beim Kopp-Verlag. Meine Phantasie reicht einfach nicht aus, um mir solche Schwachsinns-Produkte auszudenken.
https://i.redd.it/26yjchqj3ex61.png
Och, ich kann mir das Kaninchenloch schon vorstellen.
War auch mal stark anfällig für so ’nen Kram. Irgendwann kommt halt der Punkt: „Entweder ich liege falsch oder alles was ich ich je gelernt habe ist unwahr.“.
Und ja, eigene Fehler zuzugeben tut manchen so weh, dass sie lieber noch tiefer in den bias confirmation Bau kriechen. Ironisch, dass genau das dann „selber denken“ genannt wird. Naja.
Mein guilty pleasure ist ja das Telepolis Forum.
Aus „Ein Geisterfahrer? Hunderte!“ wird derzeit „Ideologen wollen mir die freie Wahl der Straßenseite verbieten!“