Framing

Wie aus einem Kritiker ein Fridays-for-Future-„Aussteiger“ wurde

Wenn jemand häufiger auf Demonstrationen geht – ist er dann ein Aktivist? Wenn er irgendwann aus Gründen nicht mehr hingeht – ist er dann ein Ex-Aktivist? Oder gar ein Aussteiger?

Die Wahl des Begriffes hat Konsequenzen. Sie verschafft dem, was die Person zu erzählen hat, eine besondere Relevanz, Fallhöhe, Aufmerksamkeit.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte von Clemens Traub, ein Mainzer Politikstudent, 23. Er hat im Februar 2020 ein Buch veröffentlicht. „Future for Fridays?“ heißt es, darin kritisiert er die Klimabewegung Fridays for Future (FFF). Nicht in ihrer Protestform, nicht für die Sache, sondern dafür, dass sie zu wenig divers sei. Zu viele Akademiker:innen, zu städtisch, zu elitär.

FFF selbst ist sich dieses Problems bewusst: In der aktuellen Version des FFF-Strukturpapiers ist mehr Diversität als grundsätzliches Ziel aufgeführt.

Im Grundsatz scheinen sich Traub und FFF also einig zu sein. Doch es gibt gerade eine öffentliche Debatte, in der auch einige aufgestaute Wut mitschwingt. So liest sich jedenfalls ein Thread des Mainzer FFF-Aktivisten Maurice Conrad auf Twitter:

Am Telefon, ein paar Tage nach seinen Tweets, sagt Conrad, worum es ihm geht:

„Hätte Clemens Traub kenntlich gemacht, dass er eigentlich eine externe Person ist und im Grunde von außen über die Bewegung schreibt, hätte das niemand problematisch gefunden. Aber er spricht, als wäre er Teil der Bewegung und das war er nicht.“

Das ist sein Kern-Kritikpunkt: Medien berichten über Traub als Ex-Aktivist oder sogar als Aussteiger aus der Bewegung. Das Framing in der Berichterstattung ist: Hier ist jemand, der sich bei Fridays for Future engagiert hat, der mit dabei war und sich jetzt davon distanziert. Die Frage ist nur: Kann man bei einer Bewegung aussteigen, wenn man nie wirklich eingestiegen ist?

Conrad, 20 Jahre alt, ist Stadtrat in Mainz und kandidiert aktuell für die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz. Er studiert Informatik an der Uni Mainz – der Uni, an der auch Clemens Traub studiert und von der er immer wieder erzählt, in seinem Buch und in Interviews.

Am Anfang der Berichterstattung fand Conrad das alles eher „belustigend“, sagt er. Da sei ein Student aus Mainz, ein Ex-Aktivist, der die Bewegung kritisiert. Allerdings: Weder Conrad noch sonst einer seiner Mitstreiter:innen kannte ihn. Dann erschien im Januar 2021 ein Interview mit Traub in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, und Conrad hatte genug. In Absprache mit der Bundesebene von FFF veröffentlichte er den Thread auf Twitter, der schnell einige Reaktionen erhielt. Der Grundtenor: Traub behaupte, bei FFF aktiv zu sein, dabei sei er dort unbekannt.

Conrad wirft den Medien vor, Traub nicht ausreichend überprüft zu haben. Am Ende appelliert er an die Redaktionen:

Ganz so einfach ist es aber nicht. Denn Traub selbst behauptet in seinem Buch nur, er sei auf vielen Demonstrationen gewesen. Der „Cicero“ nennt ihn einen „ehemaligen Demonstranten“, die FAS kündigt ihn als „ehemaligen Mitstreiter“ an. Auf die telefonische Frage, ob er sich selbst als Aktivist bezeichnen würde, antwortet er:

„Ich war ein Mitläufer, einer von vielen. Meinen Protest habe ich wie tausende andere junge Menschen auch auf die Straße getragen, Teil des Orga-Teams von Fridays for Future war ich dabei nie. Dennoch bin ich von meiner Kritik überzeugt und möchte weiterhin für eine Klimabewegung kämpfen, die Menschen aller sozialen Schichten mitnimmt.“

„Spiegel“-Journalist Jonas Schaible bestätigt, dass Traub sich selbst nicht als Organisator von FFF ausgegeben habe:

Wenn man Traubs Buch, seine Gastbeiträge, seine ganze Geschichte auf die Erzählung von jemandem reduziert, der bei einigen Demos mitgelaufen ist, wäre sie zwar noch erzählenswert – aber nicht mehr so interessant für eine polarisierende Berichterstattung. Das funktioniert erst dadurch, dass er als „Ex-Aktivist“ oder „Aussteiger“ präsentiert wird.

Auch der „Spiegel“ macht das. Eine Reporterin trifft ihn für ein Video, in dem Traub so anmoderiert wird: „Wir treffen einen Aktivisten, der den klimabewegten Rebellen vorerst den Rücken gekehrt hat.“

Traub selbst nennt sich nicht so. Nur widerspricht er eben auch nicht, wenn andere ihn „Aktivist“ oder „Aussteiger“ nennen.

Begonnen hat Traubs Weg als FFF-Kritiker im Herbst 2019. Damals verfasste er mehrere Gastbeiträge für den „Cicero“, über linke Überheblichkeit und eben auch Fridays for Future. Darin schrieb er sehr kritisch über seine linken Kommiliton:innen, die FFF-Demonstrant:innen und die Grünen. Dass er selbst ein Teil von FFF war oder zumindest auf den Demonstrationen, kommt in diesen Texten nicht vor. Auch im Teaser des FFF-Textes steht nur:

Die Protestbewegung „Fridays For Future“ wird vor allem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen getragen. Der Politikstudent Clemens Traub wäre im richtigen Alter, um teilzunehmen. Aber ein paar Dinge stören ihn an seinen gleichaltrigen Mitbürgern.

Der Zuschnitt auf den Ex-Aktivisten, der in Sorge um „seine“ Bewegung spricht, fehlt in diesen Texten.

Nach diesen Gastbeiträgen erhielt Traub die Anfrage einer Literaturagentin, ob er seine Positionen in einem Buch ausführen wolle, erzählt er am Telefon. Das Buch erschien Ende Februar 2020, bekam aber angesichts der Corona-Pandemie keine große mediale Aufmerksamkeit. Zum globalen Klimastreik im September 2020 wurden die Medien dann aber doch noch auf Traub und sein Buch aufmerksam. „Spiegel TV“ begleitete ihn in die WG-Küche, die FAS, NZZ, jetzt.de, die Welt, Phoenix, NDR und ZDF interviewten ihn, der „Cicero“ veröffentlicht einen Buchauszug. Und das ist nur ein Teil der Berichterstattung.

In all den Interviews und Gastbeiträgen erzählt Traub meist dieselben Dinge. Eine seiner liebsten Geschichten ist die vom Streit zwischen klimainteressierten Studierenden und einer Mensa-Kassiererin. Traub sah dabei zu, wie einige Kommiliton:innen auf Plastik verzichteten und Kuchen stattdessen mit bloßer Hand transportierten. Als dabei einmal ein Kuchen zu Boden fiel, verärgerte das die Kassiererin. Es wurde wohl schnell laut, das habe ihm nicht gefallen.

Die Frage danach, ob er selbst aktiv bei FFF war – oder einfach nur, aus welcher Perspektive er über die Bewegung spricht, kommt hingegen sehr selten. Vielleicht wurde sie in den Gesprächen sogar behandelt, in die veröffentlichten Produkte schafft sie es selten. Immerhin, bei jetzt.de sagt Traub: „Ich sehe mich nicht als Aktivist.“

Beim Schweizer „Blick“ ist Traub im Teaser zwar auch der „ehemalige Klimaaktivist“, aber immerhin wird die Frage gestellt, wie aktiv er gewesen sei. Seine Antwort:

„Es gibt ja keine Ämter wie bei Parteien. Es gibt lokale Sprecher … So was habe ich aber nicht gemacht. Ich war und bin nicht mal Veganer. Aber ich bin auf ganz viele Demos gegangen.“

Das Framing des Aktivisten kommt aus der Berichterstattung selbst. Wenn Traub auf Fragen sagt, nein, er sei kein Aktivist, wieso wird er dann immer wieder als Ex-Aktivist eingeordnet? Die Antwort ist vermutlich die, dass sich die Geschichte eines Ex-Aktivisten einfach besser verkauft.

Natürlich hätte Traub widersprechen können. Vielleicht war das nicht in seinem Interesse. Aber es war auch nicht seine Aufgabe, Journalist:innen zu erklären, wie sie ein Thema verkaufen.

Noch bezeichnender ist eine andere Zuschreibung mancher Medien. Bei der „Welt“ findet sie sich über der Überschrift: „Aussteiger Clemens Traub“. Auch die „Spiegel“-Reportage formuliert: „Über seinen Ausstieg hat er jetzt ein Buch geschrieben.“

Woran denkt man normalerweise bei dem Begriff „Aussteiger“? An Aussteiger:innen aus extremen Szenen, aus rechten Gruppen, aus kriminellen Milieus. Weder ist FFF eine extreme Gruppierung noch eine Sekte, aus der man aussteigen müsste (auch wenn einige konservative Kolumnisten das anders sehen mögen). Der Begriff des „Aussteigers“ öffnet auch Bedeutungsräume, die schlecht zu einer demokratischen Protestbewegung schlecht passen.

Wenn man Traub fragt, was er von dieser Bezeichnung hält, sagt er, der Begriff sei verfehlt und suggeriere etwas Falsches. Aber er sagt das erst auf Nachfrage. Aktiv gegen die Zuschreibung gewehrt, hat er sich nicht.

Vermutlich hat er von der Aufmerksamkeit, die die falschen Zuschreibungen brachten, profitiert. Wie die Medien, die sie erfanden.

12 Kommentare

  1. Jemand, der „auf ganz viele Demos gegangen ist“ – also aktiv war –, wird häufiger als „Aktivist“ bezeichnet. Böses Framing! Da hilft nur mächtig gegenframen und behaupten, Herrn Traub ginge es in erster Linie um Streit über heruntergefallenen Kuchen.

  2. Nein. Ich war auf allen erreichbaren FFF-Demos in der Region, würde mich aber keinesfalls als „Aktivist“ bezeichnen. Hätte ich bei der Organisation geholfen, andere animiert mitzugehen oder mich dazwischen regelmäßig mit anderen getroffen, um weitere Demos vorzubereiten – dann ja. Auf einer Demo mitzulaufen ist eine vergleichsweise niederschwellige Aktivität.

  3. @1: Müsste so jemand, der eigentlich nur „mitläuft“, nicht ein Passivist und kein Aktivist sein…?

  4. Hm, wäre er nicht erst dann Aktivist, wenn er zunächst FFF-intern versucht hätte, seine Kritik an- und damit die Bewegung voranzubringen, statt seine Kritik – die ihm unbenommen bleibt – gleich von außen zu kommunizieren und zu vermarkten?

  5. @ Vannay (#4):

    Als (seit langem) „ausgestiegener“ Antifa-Aktivist würde ich auch sagen: Herr Traub war weder Aktivist, noch ist er Aussteiger. Wollte eigentlich darauf hinaus, dass ich den Artikel recht haarspalterisch finde – „Aktivist“ ist schließlich kein klar definierter Begriff und lässt eine Menge Spielraum zu.

    Frau Puttfarken hat sicher recht, dass sich Texte unter dem Label „Aussteiger“ und „Ex-Aktivist“ besser klicken als unter „Typ, der früher auf Demos ging und jetzt nicht mehr“. Da wäre Clickbait-Kritik angebracht. Der Text geht mir aber zu sehr in die Richtung, Traub die Legitimität abzusprechen – das stach besonders bei der Kuchen-Episode ins Auge, deren Pointe (nämlich die unflätige Beleidigung der Kassiererin durch die FFF-Leute) Puttfarken hinter dem subjektlosen „es wurde wohl schnell laut“ verschwinden lässt.

    Soweit ich das beurteilen kann, finde ich nicht, dass Herr Traub ein besonders profunder Kritiker von FFF ist – und die breite Rezeption seiner Gedanken könnte man als Medienphänomen tatsächlich untersuchen. Aber er spricht m.E. treffend einen blinden Fleck an, nämlich eine gewisse Oberklasse-Ignoranz gegenüber den Alltagssorgen von Arbeitern und Landbevölkerung. Den vorliegenden Text habe ich ein bisschen als Legitimitations-Versuch gelesen, warum man sich damit nicht beschäftigen muss: Es wurde niemand beleidigt, es wurde nur laut.

  6. @KK / #5: „Der Text geht mir aber zu sehr in die Richtung, Traub die Legitimität abzusprechen“
    Irgendwie habe ich da wohl einen anderen Text gelesen.

  7. @#6: Der Name “Kritischer Kritiker” hat eine gewisse self fulfilling prophecy eingebaut. Er muss hier quasi per se alles “hinterfragen”. Also nicht wirklich alles, sondern nur die Sachen, die nicht so recht in sein Framing passen. Dann passieren schon mal “Interpretationsfehler” wie du sie gerade aufgezeigt hast ;-)

  8. Ein paar Student*innen gehen in die Mensa, kaufen Kuchen und streiten sich mit der Mensa-Kassiererin, weil sie gekrümelt haben. Was immer das mit FFF zu tun haben soll. Wenn alles, was dieser Passivist schreibt, ähnlich banal ist, verpasse ich wohl nichts, wenn ich es nicht lese.

  9. Ich finde ebenfalls, dass das Thema („ein Demogänger wird wegen vermeintlich höherer Klickzahlen Ex-Aktivist genannt“) kürzer abgehandelt hätte werden können.
    Viel interessanter finde ich da tatsächlich die (Bewertung der) von dem ehemaligen Demomitläufer vorgebrachte Kritik: Ein offentsichtlich aus der gehobenen Mittelschicht oder gar Oberschicht stammende Student (andernfalls hätte er weder die Mittel, sich Gehör zu verschaffen, noch hätte er Zeit für das Schreiben eines Buches, weil er Nebenjobs nachgehen müsste) äußert sich „sehr kritisch über seine linken Kommiliton:innen“ und bemängelt vor allem deren offensichtliches Nicht-links-Sein („zu elitär“). Stattdessen „möchte [er] weiterhin für eine Klimabewegung kämpfen, die Menschen aller sozialen Schichten mitnimmt.“ Diese Argumentation ist derart verdreht, dass für mich nur noch der Schluss bleibt, dass da jemand die Welle der Aufmerksamkeit reitet, solange sie noch hoch ist. Und er weiß offenbar, wie es geht.
    Seine aus meiner Sicht nicht ernstzunehmende Kritik ist nur die andere Seite derselben Medaille: Die einen nutzen das ehrenwerte Anliegen der FFF-Bewegung, um sich selbst in Szene zu setzen. Die anderen nutzen die Kritik an FFF für exakt dasselbe.

    Kurz: Höchstwahrscheinlich trifft #9 ins Schwarze.

  10. Ich finde es ja gut, dass der Kritiker sich nicht selbst „Aussteiger“ oder „Exaktivist“ nennt.

    Ansonsten ergäbe sich ein völlig neues Geschäftsmodell.

    1. bei irgendwelchen Demos für irgendwelche Sachen, die man nicht so ganz mag, jeweils ein paar hundert Meter mitlaufen.
    2. davon zu Beweiszwecken etwas bei Twitter, Insta oder wasauchimmer posten
    3. ein Buch darüber schreiben, warum man nicht mehr bei diesen Demos mitläuft
    4. der Verlag schreibt einen Klappentext „Ein Ex-Mitläufer packt aus“ oder dergleichen

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