Teures Geschenk für Christian Wulff

Wie Hannover an eine NDR-Talkshow kam – und sie wieder verlor

Hamburger Runde: „NDR Talk Show“ am 8.5.2020 Screenshot: NDR

Seit Anfang Mai kommt die „NDR Talk Show“ mit Bettina Tietjen und Jörg Pilawa nicht mehr vom Messegelände in Hannover, sondern aus einem Studio in Hamburg. Was vermutlich kaum jemandem aufgefallen ist – außer Christian Wulff natürlich. Für den früheren Ministerpräsidenten von Niedersachsen muss diese Meldung hart sein. Seine „Talk Show“, für die er vor 15 Jahren so erbittert gekämpft hat, wird nun also einfach aus Hannover weggespart.

Vor ein paar Wochen hatte der NDR verkündet, 300 Millionen Euro einsparen zu wollen, in vier Jahren. Was deutliche Einschnitte bedeutet, auch im Programm. Einige Sendungen werden komplett abgesetzt, andere beschnitten. Und auch der Umzug der Talkshow-Ausgaben mit Tietjen und Pilawa zählt zu dieser Verschlankungskur: „weil das viel Geld spart“, sagte NDR-Intendant Joachim Knuth im RND-Interview.

Geld, das wohl nicht hätte ausgegeben werden müssen, hätte Christian Wulff (CDU) nicht so darauf gedrungen, die Show nach Hannover zu holen.

Ein Ministerpräsident als Programmdirektor?

Es gab großen Streit damals. Wulff verlangte 2005 Reformen im Sender und drohte, den NDR-Staatsvertrag zu kündigen, also aus der Vier-Länder-Anstalt (Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein) auszusteigen, sollte sich nichts ändern. Sein Argument: Aus Niedersachsen komme eben, von rund acht Millionen Einwohnern, das meiste Beitragsgeld. Das müsse sich entsprechend auswirken, auch im Programm.

Die Debatten, die darum geführt wurden, waren teilweise heftig. Sigmar Gabriel (SPD), damals in der Opposition in Niedersachsen, kritisierte die Forderungen des Landeschefs scharf. Wulff scheine zu glauben, „ein Ministerpräsident könne im Nebenberuf auch noch Programmdirektor sein, sagte Gabriel. Selten, zitiert ihn die „Neue Osnabrücker Zeitung“, sei das Gebot der Staatsferne des Rundfunks „so kaltschnäuzig ignoriert“ worden.

Wulff wies das natürlich weit von sich. In die Programmautonomie des Senders greife er ja gar nicht ein. An seinen Programm-Wünschen hielt Wulff trotzdem fest. In einer Landtagsdebatte am  26. Januar 2005 sagte er:

„Am Ende wird es zu mehr Berichterstattungen aus Niedersachsen und zu mehr Sendungen, die in Niedersachsen produziert werden, kommen. Das ist wichtig für den Medienstandort Niedersachsen, das ist aber auch wichtig für das Image unseres Landes.“

Es sei

„einfach wichtig, dass wir Hannover und Niedersachsen im bundesweit ausgestrahlten Regionalprogramm N3 häufiger positiv besetzen. Schließlich haben wir viel zu bieten, und das soll im NDR-Programm auch zu Ausdruck kommen“.

Laut Protokoll der Debatte folgte „Beifall bei der CDU und bei der FDP“.

„Wir werden ein Talk-Format aus Hannover bekommen“

Wulff triumphierte schließlich: „Wir werden ein Talk-Format aus Hannover bekommen“, zitierte ihn die „Neue Osnabrücker Zeitung“; Wulff habe sich dabei auf „eine Zusage von NDR-Intendant Jobst Plog“ berufen. Der wiederum hatte, bevor man sich dann also doch noch einigte, in einem langen Artikel in der „Zeit“ die „regelmäßigen Versuche der Politik“ gegeißelt, „ihren Einfluss auf den Rundfunk auszuweiten“.

10 Jahre: Wulff, Herman, Tietjen (v.l.), 2007 Foto: imago/teutopress

Und so hatte Wulff endlich, was er haben wollte: eine Art gesellschaftliches Event, einen Marketingfaktor. Jahrelang hatte der NDR seine Talk-Sendung „Herman & Tietjen“ in Hamburg produziert, nun siedelte er sie nach Hannover um. Nachdem Moderatorin Eva Herman wenig später ausschied, wechselte die Sendung mehrmals ihren Namen, je nach Moderator. Seit Herbst 2019 heißt sie nun auch „NDR Talk Show“, wie die mit Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt, die immer schon aus Hamburg kommt.

Zum „Hannover-Auftakt“ Anfang 2006 bekamen Wulff und das NDR-Publikum „einiges geboten“, wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ berichtete:

„Herman & Tietjen haben sich ‚die schönsten Orte der Stadt‘ angeschaut und einen kurzen Film darüber gedreht, der etwa den Maschsee, das Rathaus, Stadion und Markthalle zeigt. ‚Nette Menschen am Hauptbahnhof‘ haben die Moderatorinnen getroffen, sagen sie.“

Und sie nannten als Wunschgäste für die Zukunft: „Gerhard Schröder und Christian Wulff zusammen, und dann noch Sigmar Gabriel dazu.“

Ein Jahr später tanzte Wulff natürlich – für Niedersachsens Image – auch an, als „Herman und Tietjen“ ihren zehnten Sendungs-Geburtstag feierten, mit vielen Prominenten und Wulff nebst Gattin mittendrin. (Inklusive Vergabe eines 10-Jahre-Abzeichens.) So eine Talkshow in der Stadt, das macht eben schon etwas her. Nur dummerweise verursachte es eben auch: Kosten.

Summe pro Jahr: „im niedrigen sechsstelligen Bereich“

Wie viel der NDR nun spart, indem er die „Talk Show“ wieder nach Hamburg zurückholt, möchte der Sender auch auf Anfrage nicht preisgeben. „Konkrete Angaben zu Produktionskosten machen wir generell nicht“, schreibt ein Sprecher. Was eigenartig ist, da der Sender auf seiner Internetseite zum Beispiel angibt, was es kostet, die abendliche (Talk-)Sendung „DAS!“ zu produzieren. (Pro Folge „im Schnitt 28.000 Euro“.) Auch der MDR listet solche Produktionskosten auf.

Auf unsere Nachfrage heißt es dann, der NDR veröffentliche lediglich „beispielhaft die Kosten einzelner Sendungen“. Wie viel Beitragsgeld der Sender ausgibt, um die „NDR Talk Show“ zu produzieren, will er weiterhin nicht sagen. Er erklärt nachträglich nur, dass die Summe, die durch die Verlegung eingespart werde, pro Jahr „im niedrigen sechsstelligen Bereich“ liege.

Grob hochgerechnet ist also ein Millionenbetrag dafür draufgegangen, dass Hannover eine Talkshow bekommen hat. Dabei ging es in der damaligen Debatte auch schon um Kosten. Der FAZ sagte Wulff im Mai 2005:

„Wir wollen nicht mehr den Hinweis bekommen, daß ein bestimmtes Programm, das aus Oldenburg oder Hannover kommt, teurer ist, weil Mitarbeiter und Technik des NDR aus Hamburg anrollen, anstatt die Ressourcen vor Ort zu nutzen. Das wird zur Stärkung der Landesfunkhäuser führen.“

Und auf die Nachfrage, ob denn nicht eben doch alles teurer werde:

„Wenn die Hamburger die Sendung aus Hannover machen, wird es teurer. Wenn die Hannoveraner die Sendung machen, wird sie nicht teurer, vorausgesetzt, in Hamburg werden die Kapazitäten ein wenig reduziert. Hamburg wird ein bisschen abgeben und Hannover ein bisschen aufsatteln.“

Aber dann kam es doch so, dass der NDR Hamburg die Sendung in Hannover produzierte. Anfangs kam die „Talk Show“ noch aus der Königlichen Reithalle in Hannover, die für die Sendung immer hergerichtet werden musste. Bis zuletzt war sie dann, für gut 13 Jahre, in einem TV-Studio der Hannover Messe untergebracht, in dem laut NDR Licht und Ton fest verbaut gewesen seien. Was aber nicht reichte.

So mussten „unter anderem ein Ü-Wagen inklusive Besatzung, die für die Sendung verantwortliche Redaktion sowie die beiden Moderator*innen“ aus Hamburg anreisen. Der Ü-Wagen, weil es in Hannover keinen gebe, und die Redaktion, weil die eben in Hamburg angesiedelt sei und dort („aus einer Hand“) auch die „NDR Talk Show“ mit Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt verantwortet. „Im Landesfunkhaus des NDR in Hannover gibt es keine solche Redaktion.“

Was alles schon mal eher für Hamburg sprach. Und noch mehr: Das Studio in Hamburg, erklärt der NDR nun, ermögliche (nach Aufhebung der Corona-Hygiene-Vorschriften) „auch Band-Auftritte oder Aktionen“, die „aufgrund der niedrigeren Quadratmeterzahl in Hannover“ nicht umsetzbar gewesen seien.

Insofern wird es die Sendung verändern. Grundsätzlich aber kann es dem Publikum ja egal sein, ob so eine Talkshow, in der Prominente ihre neuen Bücher in die Kamera halten oder über Kinofilme sprechen, in Hamburg oder Hannover produziert wird. Oder, wenn’s günstiger wäre: gerne auch aus Heide.

Offenlegung: Ich bin freier Mitarbeiter des NDR und habe dort volontiert.

10 Kommentare

  1. Die Einmischung der Politik ist doch immer noch üblich. Die ARD musste sich neulich die Zustimmung von Sachsen-Anhalt zur Gebührenerhöhung doch auch dadurch erkaufen, dass dieses seltsame Kulturportal beim MDR angesiedelt wird. Und dabei hat der Mittelmäßige Rundfunk von Kultur so überhaupt keine Ahnung, wenn man sich betrachtet, welcher Unfug da im Radio auf der entsprechenden Welle betrieben wird.

  2. Ich finde, die Begründung des NDR klingt ein bisschen ausgedacht. Niedersachsen ist mit Abstand das größte und bevölkerungsreichste Bundesland im Sendegebiet, Hannover die zweitgrößte Stadt. Das dortige „Landesfunkhaus“ ist eigentlich ein kleiner Stadtteil für sich, mit einem Dutzend Gebäuden und einem Sendesaal für großes Orchester plus 1.200 Zuschauer.

    Und da soll es kein Studio geben, aus dem man ohne Zusatzkosten eine Talkshow übertragen könnte? Und keinen einzigen, popeligen Ü-Wagen? Mir soll es egal sein – die Sendung gucke ich nicht, und als Ex-Braunschweiger kann ich Hannover aus Prinzip nicht leiden. Aber der Grund für die Verlegung scheinen mir weniger die Kosten zu sein, als ein Sendeteam, das nun mal in Hamburg sitzt und keinen Bock hat auf die Fahrerei.

  3. Habt ihr denn Herrn Wulff mal zu seiner Seelenlage in dieser Causa befragt?
    Ich lese „Bitter ist das wohl“ und „muss diese Meldung hart sein“.
    Nachdem, was er politisch und privat in den letzten 15 jahren alles erleben musste, sollte ihm diese Sache nun keine schlaflosen Nächte bereiten. Aber fragen hätte man ihn ja mal können und wenn er nicht antwortet, es hier dokumentieren.

  4. So im Beckmann/Giermann-Stil: „Herr Bundespräsident a. D, wie geht es Ihnen dabei, was fühlen Sie, wenn Ihre Stadt sich wieder dem großen Hamburg unterordnen muss, was löst das in Ihnen aus Herr Bundespräsident a.D., wie kann ich mir das vorstellen, wie es innen bei Ihnen aussieht und wirkt sich das eventuell auf Ihre Beziehung mit Bettina aus. Das würde mich interessieren, wie es Ihnen, Ihrer Familie damit geht und wie ihr Umfeld auf diese Veränderungen reagiert. Wenn Sie dort einmal vielleicht etwas … Aber die Sendezeit ist auch schon vorbei. Vielen Dank liebes Publikum, das war wieder eine außergewöhnliche Sendung.“

  5. Das hätte nicht passieren dürfen – Christian Wulffs trauriger Abschied.

    Zahlreiche Folgen Schlagzeilenbasteln haben mich ausreichend qualifiziert.

  6. @ Mycroft:

    Auch denkbar:

    – „Christian Wulff – am Ende ging alles ganz schnell“,
    – „Christian Wulff – er hat doch so tapfer gekämpft!“ oder
    – „Christian Wulff – jetzt bleibt ihm nur noch die Erinnerung.“

    Hach, ich bin selbst ganz gerührt… *Tränchenverdrück*

  7. Sieh da, die drei Stooges sind wieder auferstanden!
    Curly, Moe und Larry, macht unter euch aus, wer wer ist!

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