„Corona-Partys“

„Sagt mal, spinnt ihr?“ Drei, die saufen, sind keine Party

Feiern, bis der Virologe kommt: Das scheint für viele Menschen in Deutschland das Motto der Stunde zu sein. Jedenfalls legen das etliche Berichte über so genannte „Corona-Partys“ nahe. Allein voriges Wochenende sei eine „Corona-Party in Niedersachsen eskaliert“, berichtet HNA.de; laut ntv.de löste die Polizei in Fintel eine „Corona-Party“ in einem Holzschuppen auf; und „Frankenpost“ titelt: „Mit mehr als vier Promille: Mann stürzt nach Corona-Party“.

Fünf Polizisten lösen Ein-Mann-Party auf Screenshot: ntv.de

Die Frage ist bloß: Was genau soll so eine „Corona-Party“ eigentlich sein? Und sind das wirklich alles „Partys“, über die da immer wieder berichtet wird? Es sieht derzeit so aus, als würde im ganzen Land gefeiert, was das Zeug hält.

Vor den bundesweiten Maßnahmen, dem Shutdown, erschienen vereinzelt Berichte, dass sich mancherorts Menschen bewusst träfen, um sich mit dem Virus anzustecken, ähnlich wie bei „Masern-Partys“. Was angesichts der damals noch recht überschaubaren Anzahl an Infizierten ein schweres Unterfangen gewesen sein dürfte, aber der Wille zählt. Das war die Geburt der „Corona-Partys“, wobei man schon damals hätte fragen können, ob man das „Party“ nennen kann, wenn sich Menschen verabreden, um sich zu infizieren.

Okay, vier Promille. Aber: Party?

In vielen Berichten meint der Begriff „Corona-Party“ inzwischen jedoch etwas anderes: Eine herkömmliche Party (aka Fete/Feier/Fest) in Zeiten behördlicher Kontaktverbote. Doch auch hier ist das Wort „Party“ irreführend, weil es eine gewisse Größe suggeriert. Ist es eine „Party“, wenn drei Menschen in einer Wohnung „feiern“? Oder fünf grillen? Oder sich drei Männer in einem Garten treffen? Okay, einer hatte dann rund vier Promille. Aber: Party?

Sie infiziert den DJ: „Corona-Party“-Symbolbild bei „Tag24“

Zweifelhaft ist auch, ob solche „Corona-Partys“ wirklich so aussehen, wie es einige „Symbolbilder“ vermitteln. Als die Polizei in Chemniz ein Treffen in einer Wohnung auflöste, bei dem sie sechs Leute antraf, wird vermutlich kein sonnenbebrillter DJ samt Nebelmaschine dem Publikum eingeheizt haben. Aber das Portal „Tag24“ illustriert es so.

„Corona-Partys“ haben den Zorn einiger Journalist*innen auf sich gezogen, schon früh: „Sagt mal, spinnt ihr eigentlich?“, fragt RND-Redakteur Matthias Schwarzer vor drei Wochen empört; Florian Meyer vom „Stern“ ruft: „Seid ihr denn alle bekloppt geworden?“; und das ARD-Magazin „Kontraste“ legt sich Mitte März, zu Beginn des Shutdowns, auf die Lauer, um mutmaßlich angetrunkene Jugendliche vor Bars abzufangen und die Aufnahmen dann unverpixelt auszustrahlen.

„Aus den Medien“ von privaten Festen erfahren

Aber: Handelt es sich bei „Corona-Partys“ tatsächlich um ein Massenphänomen, wie es die ständigen Berichte darüber annehmen lassen? Eher nicht. Das „Spiegel“-Magazin „Bento“ war dem bereits Mitte März nachgegangen und hatte auch bei Behörden nachgefragt, die einen Trend nicht bestätigen wollten. In Köln hieß es, „sogenannte Corona-Partys“ seien „seitens des Ordnungsamts nicht dokumentiert“ worden, und es habe „auch keine Hinweise aus der Bevölkerung gegeben“. Stattdessen habe man „aus den Medien“ von Festen „in privaten Wohnungen“ erfahren.

Auch andere Artikel lassen darauf schließen, dass es nicht so schlimm ist mit diesen „Corona-Partys“, damals wie heute. „Leere Straßen, brave Bürger, zufriedene Polizei“, schreibt der Bayerische Rundfunk und fasst damit die Polizeibilanz des vergangenen Wochenendes zusammen. Auch in den anderen Bundesländern zeigen sich die Behörden zufrieden. Von massenhaften „Corona-Partys“ keine Spur. Die Polizei selbst verzichtet auch weitestgehend auf den Begriff: Im bundesweiten Presseportal sind lediglich 16 Meldungen mit dem Schlagwort aufgelistet; bei Google News sind es weit mehr als 100.000.

Natürlich gibt es Zusammenkünfte mit mehr als 20 Leuten. Das sind eher schon Partys. Und es gibt Feiern, bei denen es zu Ausschreitungen kommt. Darüber zu berichten, leuchtet ein. Es sind wenige Ausreißer.

Aber jedes mickrige Gelage groß zu vermelden, ist problematisch. Auch die Berichterstattung hat ja einen Einfluss auf politische Entscheidungen, wie es mit den Einschränkungen von Grundrechten weitergeht. Journalist*innen sollte das bewusst sein: Werden Themen falsch gewichtet, kann der Eindruck entstehen, dass da draußen einiges schiefläuft. Und das könnte zur Folge haben, dass Maßnahmen beibehalten oder sogar verschärft werden.

Der Virologe Christian Drosten zweifelte ohnehin Ende März im Interview mit der „Zeit“ an, ob weitere Einschränkungen, um auch „noch den allerletzten Unverbesserlichen rauszufischen“, wirklich sinnvoll sind. Auch Journalist*innen sollten also überlegen, ob es wirklich nötig ist, den Fokus auf Unverbesserliche zu richten. Über solcherlei Ordnungswidrigkeiten, die diese Partys formal sind, wird ja auch sonst nicht so akribisch berichtet.

10 Kommentare

  1. Clowns begleiten häufig Dressurnummern im Zirkus.
    Als Tolpatsche und Störenfriede rücken sie das Können der Dressurkünstler, die Folgsamkeit und Fügsamkeit der Pferdchen erst ins richtige Licht.

  2. Wenn nix passiert,soll wenigstens der Anschein von „da passiert was“ gegeben sein!
    Die „pöhsen“ Coronapartygängster werden unausweichlich dingfest gemacht und wieder gilt:
    „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!“
    Hhhhmmmmmmmm….

  3. Och Leute, lasst doch mal die Kirche im Dorf. Der Begriff „Corona-Party“ entstand m.W. in den ersten Tagen der Schulschließungen, als – vor allem – Oberstufenschüler ihre unverhoffte Freiheit nutzten, um sich zu Dutzenden im Park zu treffen und zu feiern (mit Bier und Musik). Zumindest in Berlin war das ein recht verbreitetes Phänomen, das ich selbst mehrfach beobachtet habe.

    Nun sind diese Partys wieder aus der Mode gekommen, aber der Begriff hat überlebt als Bezeichnung für Treffen von Leuten, die in Gruppen gegen die Auflagen verstoßen (mit oder ohne Bier und Musik).

    Richtig, die mediale Aufmerksamkeit für solche Treffen ist zu groß. Warum? Ich denke, zum einen, weil sonst kaum etwas passiert, worüber Lokaljournalisten berichten könnten: Das öffentliche Leben liegt lahm, und irgendwie muss man die Zeitung ja vollbekommen.

    Zum anderen, weil solche Treffen (jenseits von möglicher Gefährlichkeit) Aufreger sind – Millionen kriegen zuhause den Lagerkoller und sehen selbst ihre Angehörigen nur noch per Skype, um „die Kurve flach zu halten“. Wenn andere auf Vorsicht pfeifen und mit Freunden im Park das Leben genießen, dann reagieren sie halt empört.

    Die Ursache dieser Empörung mag Neid sein (gewiss nicht das edelste der Gefühle), und die Kritik an vermeintlichen Virenschleudern ist oft eher rationalisiert als rational – aber irgendwie menschlich finde ich das schon.

    Journalist*innen sollte das bewusst sein: Werden Themen falsch gewichtet, kann der Eindruck entstehen, dass da draußen einiges schiefläuft. Und das könnte zur Folge haben, dass Maßnahmen beibehalten oder sogar verschärft werden.

    Die Maßnahmen sollten solange beibehalten werden, wie sie notwendig sind. Aber die Stimmung wandelt sich, die Politik diskutiert jetzt über Exit-Strategien, nicht mehr über Verschärfungen.

    Wie schnell diese Strategien in die Tat umgesetzt werden, hängt von den Infektions- und Todeszahlen ab. Und die hält man nun mal niedrig, wenn man auf Treffen mit Freunden verzichtet – ob sie nun den Namen „Corona-Party“ verdienen und hinterher in der Zeitung stehen, oder nicht.

  4. In Hamburg ist ein Verstoß gegen die Allgemeinverfügung eine Straftat und keine Ordnungswidrigkeit. Ich nehme an, dass das auch für andere Bundesländer gilt.

  5. Hmm, und 5 Polizisten, die die Menschen auseinander treiben, aber alle eng zusammen stehen – und nachher wahrscheinlich sogar alle zusammen im Einsatzwagen zurück zur Wache fahren.
    Ja, nee, is klar…

  6. #6: Sollen die 5 Polizisten in 5 Einsatzwagen anrücken, damit Sie zufrieden sind? „Ja nee, is klar.“

    Man kann Freizeitverhalten schon von Arbeit unterscheiden – wenn man will. Nur Mut, auch Sie schaffen das.

  7. Führen durch Vorbild!
    Wenn Polizisten durch Corona ausfallen,aber es „anscheinend“notwendig ist, dienstlich dicht zusammenzuhocken …
    Die Leute sind ja nicht doof! Und doch doof?! Irgenswie!
    Warum sollen wir nicht zusammen bleiben,wenn die dieses Verbot durchsetzen müssen,es auch tun…
    Ordnungsbehördliche Logik trifft auf gesunden Menschenverstand /ok lebenspraktische Erfahrungslogik :-)!

  8. „Lebenspraktisch“ oder doch „doch doof?!“

    Wohl eher letzteres. Wenn 5% der Menschen dienstlich dicht zusammenhocken müssen, um geltende Gesetze durchzusetzen, dann verbreitet sich der Virus immer noch langsamer, als wenn weitere 5% (oder mehr?) sich an Polizisten dergestalt ein Vorbild nehmen.
    Lebenspraktisch oder doof, hm?

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