Chemnitz-Video

Maaßens irreführende Vorwürfe gegen die „Tagesschau“

Warum hat Hans-Georg Maaßen öffentlich spekuliert, dass die Bevölkerung mit einem falschen Video bewusst in die Irre geführt und von einem tödlichen Angriff von Asylbewerbern abgelenkt werden sollte? Warum hat er der „Bild“-Zeitung vor vier Wochen die entsprechenden folgenreichen Zitate gegeben?

Glaubt man dem Verfassungsschutzchef selbst, war die Berichterstattung der Medien der Auslöser, insbesondere die der „Tagesschau“ in ihrer 20-Uhr-Ausgabe am 27. August. Doch die hat sich, anders als er behauptet, die Interpretation eines umstrittenenen Videos als Beleg für „Hetzjagden“ auf ausländisch aussehende Menschen in Chemnitz nicht zu eigen gemacht.

Es geht um die Aufnahmen, die von einer Gruppe oder Person, die sich „Antifa Zeckenbiss“ nennt, am 26. August veröffentlicht wurde.

Am 12. September äußerte sich Maaßen vor dem Innenausschuss des Bundestages. Ein Protokoll davon hat „Buzzfeed News“ in dieser Woche veröffentlicht. Demnach sagte Maaßen in seinem Eingangsstatement:

„Am 27. August 2018 (…) berichteten Medien von Hetzjagden auf Ausländer in Chemnitz. (…) Teilweise, wie in der Hauptausgabe der ‚Tagesschau‘ vom 27. August 2018, wurde der Bericht über Hetzjagden unterlegt mit einem Video, das nach dem Copyright-Hinweis von der antifaschistischen Aktion Zeckenbiss, kurz Antifa Zeckenbiss, stammte. (…)

Ich erinnere daran, dass einige deutsche Medien den Videoclip von Antifa Zeckenbiss ‚Menschenjagd in Chemnitz, Nazihools sind heute zu allem fähig‘ teilweise eins zu eins verbreiteten und die Konnotation von Hetzjagden übernahmen. Ich denke da zum Beispiel an die ‚Tagesschau‘ vom 27. August 2018, 20.00 Uhr.“

Er nahm auch in seinen Antworten noch mehrmals Bezug auf die „Tagesschau“ und sagte unter anderem:

„Dass ich mich ausgerechnet dazu geäußert habe (…) liegt daran, dass es in der ‚Tagesschau‘ erschienen war, dass die Berichterstattung über Hetzjagden, man kann sagen, weltweite Beachtung gefunden haben (…). Und es ist so, dass ich häufig mich mit dem Thema Desinformation beschäftige, aber ich war der festen Überzeugung, wenn es ein derartiges nicht authentisches Video in der ‚Tagesschau‘ gibt (…) und als visueller Beleg genommen wird für Hetzjagden, sollte man sich auch dazu äußern. (…)

Ich habe mich geäußert mit Blick eben auf ein Video, das nach meiner Überzeugung nicht authentisch ist. Mir ging es gar nicht hierum, in die Frage Hetzjagd einzusteigen, sondern mir ging es darum, deutlich zu machen, dass wir verhindern müssen, dass von ‚Antifa Zeckenbiss‘ oder von irgendeiner anderen dubiosen Stelle im Internet Videos bis in die Hauptausgabe der ‚Tagesschau‘ kommen und die Leute in diesem Land verrückt machen. Das sollte meine Botschaft sein.“

Doch wie hat die „Tagesschau“ an jenem Tag tatsächlich über das Video berichtet? Ein kurzer Ausschnitt daraus sowie aus einem Video des Journalisten Fabian Eberhard wurde erstmals in der 14-Uhr-Ausgabe gezeigt. In der Anmoderation sagte Susanne Stichler:

„Hunderte Menschen gingen gestern auf die Straße, darunter auch gewaltbereite Anhänger der rechten Szene. Dabei kam es zu Rangeleien mit der Polizei. Und auf Videos im Netz ist zu sehen, wie Teilnehmer der Demonstration offenbar Migranten angreifen.“

Im Bericht hieß es dann:

„Im Internet riefen die AfD-Chemnitz und rchte Gruppierungen zu Demonstrationen auf, rund 800 Menschen kamen, die Stimmung war aufgeheizt. Amateurvideos in den sozialen Medien zeigen Übergriffe auf Menschen mit dunkler Hautfarbe.

Die Gewaltbereitschaft vieler Demonstranten hat die Bundesregierung heute scharf kritisiert. (Regierungssprecher Steffen Seibert:) ‚Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft oder der Versuch, hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin. (…)'“

Ganz ähnlich war die Berichterstattung in der 20-Uhr-„Tagesschau“, auf die sich Maaßen ausdrücklich mehrmals bezieht. In der Anmoderation hieß es:

„Hunderte waren gestern nach Aufrufen von AfD und anderen Gruppierungen im Netz durch Chemnitz gezogen und hatten auch Ausländer angegriffen.“

Während Ausschnitte der beiden Videos gezeigt werden, hieß es:

„Amateurvideos in den sozialen Netzwerken zeigen Übergriffe auf Menschen mit dunkler Hautfarbe.“

Die „Tagesschau“ nannte nicht den Titel, unter dem „Antifa Zeckenbiss“ das Video geteilt hatte („Menschenjagd in Chemnitz, Nazihools sind heute zu allem fähig“), sie sprach auch selbst nicht von Menschen- oder Hetzjagden – das tat nur der Regierungssprecher.

Maaßen wirft aber der Sendung vor, eine gezielte Falschinformation übernommen und verbreitet zu haben. Das Video sei „nicht authentisch mit Bezug auf den Begriff Hetzjagden oder Menschenjagden“, sagte er. Tatsächlich sprach die „Tagesschau“ aber nur von „Übergriffen“.

Dass es solche Übergriffe an jenem Tag gab, bestritt auch Maaßen vor dem Ausschuss nicht. Laut Polizeiberichten seien „Personen mit erkennbarem Migrationshintergrund beschimpft und angegriffen“ worden; eine Eskalation habe aber verhindert werden können.

Zu dem vielen, was an Maaßens Äußerungen zweifelhaft ist, gehört auch das: Er gibt den angeblichen Auslöser seiner öffentlichen Einlassungen falsch wieder.

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Nachtrag, 2. Oktober. „Tagesschau“-Chef Kai Gniffke hat Maaßen in einem Brief vorgeworfen, vor dem Ausschuss die Unwahrheit gesagt zu haben:

„Leider decken sich Ihre Aussagen nicht mit den nachprüfbaren Fakten und sind angetan, die Tagesschau in Misskredit zu bringen. (…)

In keiner einzigen Sendung hat die Tagesschau am 27. August die Begriffe ‚Hetzjagd‘ oder ‚Menschenjagd‘ verwendet. Alles andere ist wahrheitswidrig.“

Gniffkes Brief endet mit dem Satz:

„Da ich davon ausgehe, dass Sie auch in Ihrer neuen Funktion an der ein oder anderen Sitzung des Innenausschusses teilnehmen werden, wäre ich Ihnen bei Gelegenheit für eine Richtigstellung in diesem Gremium dankbar.“

26 Kommentare

  1. Die Berichterstattung der Tagesschau (1.9.um 20:00 Uhr) über die Demonstrationen in Chemnitz kann man als alles mögliche, aber sicher nicht als ausgewogen und fair bezeichnen:
    Zu Wort kamen 1 Vertreter der rechten Demonstration (ein Stadtrad von „Pro Chemnitz“), demgegenüber aber 2 Vertreter der bestenfalls halb so großen Gegendemonstration (je ein SPD und Grünen Politiker) und zusätzlich 2 Teilnehmer dieser Gegendemonstration.

    1:4, das ist ungefähr so ausgewogen als wenn das russische Fernsehen über eine Demonstration der dortigen Opposition berichten würde.

  2. Nur ein Rad in der Tagesschau. Ja so eine Sauerei! Zwei Tandems wären das Mindeste gewesen.

    Nieder mit den Systemmerkelmedien!

  3. @1
    Du hast aber schon mitbekommen, was so geschieht wenn Journalisten Teilnehmer deiner rechten Demonstration befragen wollen, oder?
    Man kann nicht ständig Journalisten, die das versuchen, auf Übelste beleidigen und auch körperlich angreifen, und sich hinterher beschweren, ihr wäret zu wenig zu Wort gekommen.
    Zählst du auch, wie oft im Hambacher Forst Umweltschützer in der Tagesschau sprechen dürfen und wie oft von RWE abhängige und nicht abhängige Politiker, RWE-Presseprecher , Polizeisprecher und verwirrte Vorsitzender von Kleinstpolizeigewerkschaften?

  4. @Schnellinger
    In der rechten Demo bzw. Trauermarsch gab es mit Sicherheit genug Leute, die ihr Anliegen in die Kamera geäussert hätten wenn man ihnen dazu denn Gelegenheit gegeben hätte, und nicht nur welche die Journalisten verjagen. Wäre es so gewesen, hätte die Tagesschau das dann sicher dankend gezeigt.
    Versuche du doch mal umgekehrt Antifa-Leute zu interviewen, oder auch nur zu fotografieren.
    Du siehst, das sind alles recht schwache Ausreden.
    Und nein, ich zähle sonst nicht wieviele und wie lange Demonstranten etwas sagen dürfen, aber hier ist das Mißverhältnis so gravierend, dass es auffällt.

  5. @5: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten haben einen klar definierten gesetzlichen Auftrag. Dazu gehört nicht, marodierenden Nazis das Wort zu erteilen.

  6. @1: Ich habe den Eindruck, Ihr Kommentar hat recht wenig mit dem Inhalt des Beitrag zu tun.

    Es geht hier doch darum, wie Maaßen die Berichterstattung falsch wiedergegeben hat und zu der von Ihnen erwähnten Sendung scheint er mir gar nichts gesagt zu haben.

    Deswegen wundert mich auch, warum hier andere so auf Ihren Kommentar einsteigen.

  7. Die „Tagesschau“ […] sprach auch selbst nicht von Menschen- oder Hetzjagden – das tat nur der Regierungssprecher.

    Nein, zumindest die Online-Redaktion der Tagesschau verwendete den Begriff „Hetzjagd“ mehrmals schon am 27.08:

    Im Video für die 20-Uhr-Ausgabe findet sich in der Inhaltsbeschreibung:

    Politik verurteilt Hetzjagden in Chemnitz

    Auch der Clip selbst hat eine eigene Seite mit dem Titel

    Scharfe Reaktionen nach rechter Hetzjagd in Chemnitz

  8. Für mich sieht „Antifa Zeckenbiss“ auf dem ersten Blick wie ein Putintroll aus. Kein Journalist hat sich anscheinend diesen Kanal der Quelle kritisch angeschaut. Ich kann überhaupt nicht glauben, dass deutsche Antifa-Gruppen hinter diesem Account stehen.

    Es ist letzten Endes egal was die Tagesschau sagt, weil sie sich auf eine Twitterdiskussion um dieses Video bezieht, bei dem es um die „Hetzjagd“ geht und dieser Terminus durch diese Videoüberschrift in alle Welt gesetzt wurde.

  9. Maaßens Äußerungen sind tatsächlich sachlich nur schwer zu verstehen. Deshalb sind sie ja auch in der Sache völlig im Sand verlaufen. Nur politisch haben sie große Wirkung gezeigt. Und diese Wirkung stand ihm eigentlich qua Amt nicht zu.
    Wenn es schon um den Wortlaut der Tagesschau-Berichte geht, dann müsste man aber auch einmal die Begriffe ‚gewaltbereit‘ und ‚Zusammenrottung‘ etwas kritischer betrachten. ‚Gewaltbereit‘ beschreibt einen reinen Verdachtstatbestand, denn wodurch lässt sich diese beweisen außer durch die tatsächliche Ausübung von Gewalt? Und der Begriff der ‚Zusammenrottung‘ stammt aus dem Strafgesetzbuch der DDR, sollte also unter dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch nicht so anklagend genutzt werden, wie es die Regierung und die Tagesschau getan haben.

  10. Wir haben mittlerweile das Problem, dass Maaßen mittlerweile kein Problem mehr hat mit seinen Falschaussagen und Spekulationen, sondern dass auf einmal der Not-Koalitionshelfer SPD am meisten angegriffen wird für diese Unwahrheit des noch aktuellen Chefs des Bunderverfassungsschutzes und die angebliche Treue seines Bosses.
    Dass hat Herr Maaßen sehr geschickt gemacht und weiß, wie man die Medien lenken kann. Ebenso sein Boss Seehofer: Der macht nur auf alten Mann, ist aber hellwach und ist gerade auf einer Siegesserie, die dazu führt, dass er nach der Bayern-Landtagswahl wieder der unumstrittene Boss in der CSU ist, weil Söder den Wahlkampf vergeigt.

    Mittlerweile muss es im Journalismus so schnell gehen, dass wir heute schon vergessen, weshalb Maaßen ein Thema war und ist.

  11. @Georg: Beziehen sich die von Ihnen zitierte Textstelle und auch die Aussagen von Herrn Maaßen nicht auf die „Hauptausgabe der ‚Tagesschau‘ vom 27. August 2018“ bzw. „vom 27. August 2018, 20.00 Uhr“?

  12. Der semantissche Streit um den Begriff Hetzjagd finde ich etwas daneben, denn wie definierre ich ihn? Ab welcher Geschwindigkeit, ab welcher Distanz und bei wieviel „Jägern“ handelt es sich um eine Hetjagd? Jan Fleischhauer von SPON meint sogar, es sei nur ein „Sprint“ gewesen. Derartige Relativierungen bzw. Definitionen sind für das „Wild“ im Erfolgsfall (festhalten und verprügeln) völlig bedeutungslos.

    Thomas Fischer erinnern in einer Kolumne auf SPON an eine Hetzjagd:
    „Am 13. Februar 1999 sprang in Guben, einem bezaubernden Städtchen in Brandenburg, ein junger algerischer Mensch, verfolgt von elf rechtsradikalen Schlägern, die auf der Jagd nach einem Kubaner waren, in Todesangst durch eine Glasscheibe. Er verletzte sich dabei so schwer, dass er verblutete. Sein Freund wurde so lange verfolgt und zusammengeschlagen, bis man ihn für tot hielt und liegen ließ. Ein drittes Opfer wurde von der Polizei aus einem belagerten Bistro gerettet. Die Täter verfolgten das Polizeifahrzeug und versuchten, in die Polizeiwache einzudringen.“

    Am Ende derartiger Zusammenstöße, ob Passanten die undeutsch aussehen, als Auftakt angepöbelt, Kinder aus der S-Bahn geworfen oder Obdachlose angezündet werden, auch ohne Verfolgung ist das Ergebnis rechtsradikaler Handlungen oft sogar tödlich.

  13. @ spacespencer

    Nein, die Stellen, an denen die Tagesschau selbst den Begriff „Hetzjagd“ verwendet, fand ich für den 27.8. nur im Online-Auftritt. Rein auf wörtlicher Ebene mag also Maaßen tatsächlich falsch liegen.

    Dennoch bleibt aber festzuhalten: Auch in der 20-Uhr-Hauptausgabe wird das Antifa-Zeckenbiss-Video verwendet und gleich danach der Regierungssprecher mit dem Wort „Hetzjagd“ geschnitten – ohne dass die Tagesschau das einordnend kommentiert. Und zusammen mit der mehrmaligen Verwendung im Online-Auftritt entsteht schon der Eindruck, dass die Tagesschau sich den Begriff zu Eigen macht.

    Mich frappiert vor allem, dass noch am Morgen des gleichen Tages die Tagesschau nach der Messerattacke eine Warnung der Polizei verbreitete, nicht einfach Gerüchten in den sozialen Medien zu glauben – und im selben Artikel verbreitet sie die Meldung über Hetzjagden, die sich zu dem Zeitpunkt allein auf Schilderungen in den sozialen Medien bezog.

  14. Ich finde, die sachliche Zusammenfassung dessen, was anlässlich der Berichterstattung gesagt wurde im direkten Vergleich mit der Bewertung des Herrn Maaßen über ebendiese Berichterstattung wichtig. Es macht deutlich, dass das Statement vom scheidenden Chef des Verfassungsschutzes kein harmloser, halb versehentlicher „Griff ins Klo“ war.
    Das Politikum, das sich aus dieser hanebüchenen Äußerung ergab, erklärt sich damit aber nicht. Maaßens Agieren in dieser Sache ist ein beliebig austauschbares Öl, dass eine unentwegt schwelende Glut (hier meine ich die aktuelle Gemengelage in der GroKo) zum Lodern bringt.
    Damit bin ich bei Kommentar Nr. 11:
    Kalkulierbar ist kaum noch, wohin die Flamme dann schlägt, dass die SPD so in Kreuzfeuer gerät, kann Seehofer kaum voraus gesehen haben, dass ist ein Nebenbefund, der ihm, sofern er wirklich die Imteressen des ganzen Landes sieht, eigentlich auch nicht gefallen dürfte.
    Selbst wenn man mal davon ausgeht, dass die ganze Aktion konzertiert war, mit dem gewünschten Effekt, dem politischen Widersacher ein Imageproblem aufzuhalsen, kann ich nicht erkennen, wie Horst Seehofer dann als strahlender Sieger da stehen soll.
    Seehofer hat sich vor Maaßen gestellt und sich damit für die Unwahrheit gerade gemacht, Seehofer hatte die eigentliche Idee, jemanden für eklatante falsche Aussagen (im Zusammenhang mit dessen Fuktion erst recht brisant) zu belohnen. Das kann doch auch den Bayern nicht gefallen bzw. dort unbemerkt bleiben. Ich kann jetzt nicht erkennen, wie Seehofers Standing in der CSU hierdurch verbessert werden soll.

  15. @Georg: „Rein auf wörtlicher Ebene mag also Maaßen tatsächlich falsch liegen.“ (er mag nicht nur, er tut es)
    Darum geht es doch in diesem Artikel, oder nicht?
    Welche Eindrücke bei Ihnen sonst noch enstehen sei Ihnen selbstverständlich meinerseits unbenommen.

  16. @Georg
    Na wenn’s Spacespencer schon nicht über die Lippen bringt, sag‘ ich es mal: Danke für die sauber formulierte Gegenposition zum Artikel.

    Ob das reicht, um hier im Forum einigermaßen unbeschadet von Hochmut (Ironie können die hier nicht!) und/oder Beleidigungen zu bleiben, wage ich allerdings zu bezweifeln. Abwarten.

  17. @ Gerdos:

    „Ab welcher Geschwindigkeit, ab welcher Distanz und bei wieviel ‚Jägern‘ handelt es sich um eine Hetjagd?“

    Das stimmt, aber es gibt viele Begriffe, die eine gewisse Vagheit und unscharfe Grenzen haben, die aber dennoch sinnvoll sind.
    Beispielsweise das Wort „eilen“: Ab welcher Geschwindigkeit genau „eilt“ jemand? Wo geht das relativ zügige Sich-Fortbewegen genau in ein „Eilen“ über?
    Oder schon das antike Beispiel des „Haufens“: Ab welcher Menge genau ist eine Ansammlung ein „Haufen“? Ab X Bestandteilen? Was ist dann mit X-1?
    Oder wann ist jemand „unfreundlich“? Wo genau in jedem denkbaren Kontext verläuft eine (am besten noch allgemein akzeptierte) exakte Grenze zwischen „direkt“ und „unfreundlich“?

    Dass der Begriff „Hetzjaged“ keine eindeutige Abgrenzung gegen ein einfaches „Verjagen“ erlaubt, würde, wenn schon, dafür sprechen, dass man ihn aufgrund fehlender Präzision gar nicht mehr verwendet – aber nicht dafür, dass jedes „Verjagen“ oder jede minimale „Verfolgung“ als „Hetzjaged“ apostrophiert wird. Aber wie gesagt ist auch diese Schlussfolgerung nicht gerechtfertigt.

    Nur zur Sicherheit: Ich finde jede – selbst relativ kleine – „Jagdszene“ absolut inakzeptabel. Und ich finde auch, dass die Diskussion über den Terminuns „Hetzjagd“ im Zusammenhang mit den Ereignissen von Chemnitz den Stellenwert, den sie erreicht hat nicht verdient hat (wenn sie auch eine gewisse Berechtigung als NEBENdiskussion hatte).

  18. #10: „Und der Begriff der ‚Zusammenrottung‘ stammt aus dem Strafgesetzbuch der DDR, sollte also unter dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch nicht so anklagend genutzt werden, wie es die Regierung und die Tagesschau getan haben.“

    Das ist eine der Bullshit-Legenden, die (man google es einmal) von knallrechten Protagonisten wie Vera Längsfeld und anderen verbreitet werden. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nun aber beispielsweise schon 1968 in einem Revisionsurteil (Az.: 2 StR 248/68) klargestellt:

    „Teilnehmer an einer Zusammenrottung ist nicht nur, wer sich mit anderen von vornherein zu dem Zweck verbindet, Gewalttätigkeiten zu begehen, sondern ebenso derjenige, der sich einer öffentlich bereits versammelten, bedrohlich auftretenden Menschenmenge anschließt und in ihr auch dann noch verbleibt, wenn aus ihrer Mitte Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen begangen werden.“

    Blöd für die Legendenbildner. In jeder Hinsicht. Aber sie sind ja geübt darin, Quatsch einfach ständig zu wiederholen, die braunen Schafe werden es schon glauben …

  19. Wiktionary weist u.a. auf eine Quelle bei Fallada hin:

    https://de.wiktionary.org/wiki/Zusammenrottung

    Etymologisch geht es mindestens bis ins 17. Jahrhundert zurück. Die Nazis hatten dann später einen Hang zu allem, was mit dem begriff der „Rotte“ zusammenhing, wohl wegen der mittelhochdeutschen Herkunft des Begriffs und ihrem Hang zu Biologismen in der Sprache.

    Obige Logik ist dieselbe, die auch Reichsbürger anwenden: weil in Deutschland noch Gesetze existieren, die im Dritten Reich entwickelt wurden, seien diese Gesetze abzulehnen. Das betrifft u.a. das Einkommenssteuergesetz, das aber seitdem massiv geändert wurde.

    Weil ein Begriff in der DDR verwendet wurde, ist er abzulehnen. Dabei wird ignoriert, dass es um den Sinngehalt eines Begriffes gehen muss und dessen kontextuelle Verwendung. Das sollten vor allem jene beachten, die sich über den Begriff „Zusammenrottung“ stören, aber kein Problem haben, „Volksverräter“ zu brüllen. Diejenigen, die es schaffen, aus dem tragischen „absaufen“ einen Freudenruf zu machen.

    Ein Begriff kann als Ausdruck einer Diktatur gelten, muss aber nicht. Ich halte den Begriff der Zusammenrottung insgesamt für unglücklich, aber nicht für ein zeichen einer DDR2.0 (die viele, die gegen Merkel sind, sich ja eigentlich herbeiwünschen, nur wollen sie die anderen unterdrücken).

  20. Maaßen macht es so wie viele andere, vornehmlich rechte Typen: er haut ne Sache raus, das sitzt, und hinterher kann man dann immer noch stückweise zurückrudern – nur fürs Protokoll, wohlgemerkt, denn Korrekturen werden von den Medien nicht groß aufgemacht, steht dann irgendwo unter ferner liefen.

    Herbert Reul (CDU NRW) betreibt das mit seinem Stab und seiner Polizei nun ähnlich beim Hambacher Wald. Ein dreister Fake nach dem anderen, scheiß was auf die eigene Glaubwürdigkeit, wen kümmert´s. Freches Lügen ist gerade angesagt, es geht um Macht und Machterhalt; einst besonders von Konservativen hochgehaltene Tugenden wie Aufrichtigkeit sind längst passé. Das haben sie sich von den AfDlern abgeschaut.

    Die CDU-Rentner finden das, was in NRW geschieht, übrigens nicht gerade prickelnd. Im Gegenteil: es widert sie an. Das werden die Herren Reul und Laschet noch zu spüren bekommen.

  21. #24: „Herbert Reul (CDU NRW) betreibt das mit seinem Stab und seiner Polizei nun ähnlich beim Hambacher Wald. Ein dreister Fake nach dem anderen, scheiß was auf die eigene Glaubwürdigkeit, wen kümmert´s. “

    Ist zwar leicht OT, aber: Das ist leider keine Domäne der Rechten, Grote und Scholz (SPD) haben’s ja in Hamburg genauso gemacht. Bzw. machen’s immer noch.

  22. @ 20 Blinse

    „Ob das reicht, um hier im Forum einigermaßen unbeschadet von Hochmut (Ironie können die hier nicht!) und/oder Beleidigungen zu bleiben, wage ich allerdings zu bezweifeln. Abwarten.“

    Wie nennt das?
    Präventivopfertum?
    Präemptivlarmoyanz?
    Vorauseilendes Märtyrertum?
    Selbsterfüllende (in doppelter Hinsicht) Benachteiligung?

    Dagegen gibt es was:
    https://www.youtube.com/watch?v=FMuVRawwUzE

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