Dieser Beitrag erscheint in Kooperation mit fair radio, einer ehrenamtlichen Initiative von privaten und öffentlich-rechtlichen RadiomacherInnen, die sich für glaubwürdiges Radio und gegen Fakes einsetzt. Grundlage der Arbeit ist der Tutzinger Appell von 2007.
Antenne Niedersachsen: „Kindernachrichten“ nur Satire für Erwachsene?
Moment mal – Nachrichten? Sind das nicht diese Berichte über aktuelle Ereignisse und Entwicklungen in der Welt? Ausgewogen und sachlich?
Der private Radiosender Antenne Niedersachsen definiert das nach Recherchen von fair radio für seine „Kindernachrichten“ offensichtlich anders. Sie laufen jeden Morgen und noch mal am Nachmittag, gesprochen von einer 12-Jährigen.
Ende Juni brachte der Sender dort, völlig ohne Anlass, eine „Meldung“ über den Versandhändler Amazon, „eines der Top-Themen in der Kindernewsredaktion“, wie es anfangs heißt. Der Beitrag ist noch heute auf der Seite des Senders zu hören. Wir haben ihn hier archiviert:
Innerhalb einer Minute nennt Kira, die junge Sprecherin, den Namen des Unternehmens ganze sieben Mal und sagt: „Was Oma und Opa noch als Quelle- oder Otto-Katalog kennen, ist heute Amazon.“ Anschließend preist sie das „wertvollste Unternehmen der USA“, den „Marktführer“, und zählt auf, was man da so alles kaufen kann! Als müsste man Kindern erklären, was Amazon ist, und nicht vielmehr, was noch mal dieser Quelle- oder Otto-Katalog war.
Die Nachrichtenminute endet mit dem müden Witz, dass man irgendwann vielleicht auch Lehrer oder Freunde bei Amazon bestellen könnte, die aber dann „regelmäßig an die Steckdose“ müssten. Über schlechte Arbeitsbedingungen, Kritik an der Marktmacht des Unternehmens, den Druck, den Amazon auf andere Händler ausübt – über all das verliert Kira in den „Kindernachrichten“ von Antenne Niedersachsen kein Wort. Es klingt wie Werbung.
Antenne Niedersachsens Programmdirektor Carsten Hoyer findet allerdings, dass der Beitrag nicht verwerflich ist. Er selbst habe das Stück abgenommen, versichert er am Telefon. Ursprünglich seien dort auch noch kritische Aspekte mit drin gewesen, die aber dann „dem Schnitt zum Opfer gefallen“ seien, „weil es sonst zu lang gewesen wäre“, sagt Hoyer.
Dass der Beitrag nun werblich wirkt, kann der Programmdirektor nicht erkennen. Der Sender habe dafür „selbstverständlich kein Geld bekommen“. Auch die Aufzählung der Produktpalette findet er unproblematisch: Es werde doch klar, „dass die Sprecherin Abstand hat“, sagt Hoyer. Gerade am Schluss des Stücks, bei dem Witz: „Ich höre da eine Menge Ironie heraus.“
Ironie? Immer schwierig. Vor allem in einer Nachrichtensendung. Und noch mehr, wenn diese für Kinder gedacht ist. Doch der Begriff „Nachrichten“ wird bei Antenne Niedersachsen offenbar sowieso weit ausgelegt, so weit, dass sie zum Teil auch kommentierend sind.
In einem Beitrag über eine Rückrufaktion von Mercedes Benz heißt es:
Kann es sein, dass die Bosse der Autoindustrie uns alle betrügen?
In einem Beitrag über das Dieselfahrverbot in Hamburg heißt es:
Aber wenn man bedenkt, dass nur wenige Kilometer entfernt die Kreuzfahrtschiffe im Hafen liegen und ihr Schweröl, millionenfach stärker, in die Luft blasen, dann würde es mehr bringen, wenn so ein Schiff seinen Motor mal für ein paar Tage ausschaltet.
Nachrichten? Für Kinder? Das scheint alles ein Missverständis zu sein.
Programmdirektor Hoyer fragt am Telefon: „Wer sagt denn, das ist für Kinder gedacht?“ Die Antwort: sein Sender. Doch Hoyer behauptet, die „Kindernachrichten“ seien keine „regulären Nachrichten“, sondern ein Format mit Meinung und Position, getextet von erwachsenen Redakteuren. Kira zeige die Weltsicht einer 12-Jährigen. Und bei der „Heute Show“ im ZDF laufe ja auch ein Nachrichtenjingle vorab, aber niemand erwarte dann Nachrichten.
Logo! (Ach, nee, das ist eine andere Sendung.)
Vielleicht kann ja die Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) herausfinden, ob es sich bei den „Kindernachrichten“ um Kindernachrichten, Meinung für Erwachsene oder, wie bei der „heute show“, um Satire handelt. Wegen der Werblichkeit der Amazon-„Meldung“ hat fair radio Programmbeschwerde bei der NLM eingelegt. Sie muss nun prüfen, ob der Privatsender gegen die Werberichtlinien im Rundfunkstaatsvertrag verstoßen hat. Und, falls es sich doch um ein Angebot für Kinder handelt, ob zusätzlich Verstöße gegen § 8 (6) des Rundfunkstaatsvertrags und den Jugendschutz vorliegen.
Nachtrag, 17.7.2018. Andreas Fischer, der Direktor der NLM, hat auf unsere Anfrage geantwortet. Die NLM sieht demnach kein Problem bei den „Kindernachrichten mit Kira“ auf Antenne Niedersachsen. Ob es sich dabei tatsächlich um „Nachrichten“ handelt, dazu schreibt Fischer unter anderem:
„Die verfassungsrechtlich geschützte Programmautonomie eines Rundfunkveranstalters umfasst auch das Recht, ‚Nachrichten‘ einmal nicht im klassischen Sinne zu verstehen. Alle Zuhörer*innen […] werden schnell verstehen, dass dieses Format keine herkömmliche Nachrichtensendung ist.“
Es gehe „schlicht um – aktuelle oder allgemeine – Themen, die für Kinder interessant sein könnten“, schreibt Fischer, dabei steht ja auch infrage, ob sich die Sendung überhaupt an Kinder wendet.
Zur möglichen Werblichkeit der Amazon-„Meldung“ schreibt Fischer unter anderem:
„Neben der häufigen Nennung des Namens ‚Amazon‘, der hier im Kontext eines Gattungsbegriffs genutzt wird, erfolgen keine positive Herausstellungen oder Anpreisungen der Dienstleistungen des Unternehmens. Die auf mich leicht ironisch wirkende Schilderung unterschiedlichster Produkte (u.a. ‚Stützstrümpfe‘), die bei Amazon zu erwerben sind, stellt eine korrekte Erläuterung des realen Sachverhalts dar und ist für sich gesehen kein hinreichendes Indiz für eine Werbeabsicht des Veranstalters.“
Amazon selbst, weiß Fischer, „dürfte über diese Auswahl der erwähnten Produkte kaum begeistert sein“. Wenn Antenne Niedersachsen Schleichwerbung für das Unternehmen hätte betreiben wollen, „hätte Kira sicher angesagte Trendprodukte für eine jüngere Zielgruppe erwähnt“. Dabei, wie gesagt, ist ja auch die Frage, ob sich die Sendung an Kinder richtet – was sogar Antenne Niedersachsen selbst infrage stellt.
Die Kollegen von fair radio haben die Antwort der NLM hier kommentiert.
Ich weiß was das ist: KINDERARBEIT
@1: Ach verdammt ich dachte der ersetzt die spitzen Klammern. Also [Känguru]KINDERARBEIT[/Känguru]
(Hoffentlich klappt das besser)
Interessant, aber warum bin ich heute wirklich hier: Weil es Tag 2 nach dem Bahnhofskiosk-Tag ist. Wo bleibt er?
Ach, die „Kindernewsredaktion“, gleich neben dem „Verkehrstower“ und dem „Wetterstudio“. Da kann DLF Kultur sein Kindermagazin ja guten Gewissens einstellen, bei so grandiosen Alternativen.
Angekündigt von dem Tüpen, der auch bei der RTL-Gruppe den ganzen Boulevard-Schrott einspricht. Kein Wunder.
Ach Leute,
die Aufgabe eines Programmdirektor ist es eben nicht, journalistische Standards zu erfüllen, ethische Fragen in Bezug auf Kinder und deren Bildung zu beantworten oder gar für eine möglichst wahrheitsgetreue Darstellung der Realität zu sorgen. Die einzige Aufgabe des PD ist es, die „Stickyness“ des Programms zu erhöhen und damit für mehr Werbereichweite zu sorgen. Nur dafür wird er bezahlt. Wer Privatradios noch für presseähnliche Produkte (mit einem wie auch immer gearteten Informationsanspruch) hält, ist entweder hoffnungslos gutgläubig oder hat die letzten 20 Jahre im Radio verschlafen.
Ich meine das gar nicht bösartig, sondern plädiere dafür, Privatradios als das zu sehen, was sie sind: möglichst gefällige Klangteppiche als Trägermedium für Werbung. Natürlich sollten sich Privatradios an bestehende gesetzliche Bestimmungen halten. Aber auch für Eltern gilt: Sprecht mit Euren Kindern häufiger, erklärt ihnen, dass „Nachrichten“ in Privatradios eben keine Nachrichten sind, stärkt die Medienkompetenz der Kinder, echte Informationen von Werbung
@Volker: Na, dann kann Übermedien ja auch gleich den Betrieb einstellen. Journalistische Standards sind sowieso überbewertet, nicht nur im Radio. Wem die „Bild“ nicht passt, der soll sie eben nicht lesen.
@Calafati
Nein, das wäre dann doch zu billig. Wir brauchen substanzielle Medienkritik. Nur genügt es mir nicht, sich an journalistischen „Billigheimer“ abzuarbeiten. Deren Unzulänglichkeiten sind derart offensichtlich, dass ich immer nur achselzuckend dastehen kann, wenn sich Medienprofis an ihnen abarbeiten. Es gibt aus meiner Sicht deutlich lohnenswertere Ziele, z.B. der zunehmende Kampagnenjournalismus der FAZ oder die schleichende Aushöhlung der Unabhängigkeit auch renommierter Redaktionen.
Zudem: Die Rechtssprechung sowie der Gesetzgeber haben sich längst vom Bild des unmündigen Verbrauchers, der vor allem Unbill dieser Welt geschützt werden müsste, verabschiedet. Medienkritik sollte dieses Bild bitte nicht wieder aufwärmen, sondern uns in die Pflicht nehmen, unseren Kindern einen kritischen Umgang mit Informationen und deren jeweiliger Quellen/Absender zu vermitteln.
Ja, Antenne Niedersachsen sendet ziemlichen Quark. Nicht nur in den „Kindernachrichten“. Aber: Ist das neu oder überraschend?
„Ist das neu oder überraschend?“
Für dich vielleicht nicht, für mich auch nicht. Soll man das deswegen nicht thematisieren dürfen? Andere mögen sich vielleicht weniger Gedanken gemacht haben.
Es weiß auch „jeder“, dass Seehofer ein egomanischer Provinzfürst und Donald Trump dumm wie Brot ist. Wenn alles eh schon bekannt ist, kann man Journalismus ja gleich ganz einstellen.
Außerdem ist mir auch unverständlich, warum ausgerechnet Privatradio bei der Medienkritik ausgenommen bleiben sollte. Zeitungen sind ja ebenso aufs Geld angewiesen, unterliegen also theoretisch den gleichen Marktmechanismen (bei sinkender Auflage umso mehr). Weshalb sollte man sich dann am Printjournalismus abarbeiten und ums Radio einen Bogen machen? Ob dem „Verbraucher“ derartige Formate zuzumuten sind ist doch gar nicht der Punkt. Hier haben Journalisten unsauber gearbeitet und der Artikel greift das auf. Wo ist das Problem?
Wenn ich mir die jüngsten Analysen zum Verhalten von Seehofer oder Trump durchlese, etwa in der Zeit oder der Süddeutschen, dann wäre ich mir nicht so sicher, ob die beiden Politiker einfach nur „dumm“ sind. Damit leisten die Beiträge, was guten Journalismus auszeichnet: analysieren, einordnen, Erkenntnisse schaffen. Und zwar unabhängig davon, wie ich persönlich zu Seehofer und Trump stehe.
Diese Leistung gelingt dem Beitrag über Antenne Niedersachsen nicht. Er „klebt“ an der Oberfläche. In dieser Form, mit dieser „Erkenntnis“ hätte er praktisch wortgleich schon vor 10, 15 oder 20 Jahren erscheinen können (wahrscheinlich wäre es dann nicht um „Kindernachrichten“ sondern irgendein anderes Programmelement gegangen).
Es hat doch gute Gründe, warum sich Übermedien nicht an den Anzeigenwochenblättern oder den Lokalseiten von Provinzblättern abarbeitet: Weil es jeher Teil des Geschäftsmodells und der langjährigen Übung ist, die Grenzen zwischen redaktionellen und werblichen Inhalten zu ignorieren. Und wenn wir ehrlich sind, gilt das doch auch für die von Privatradios erzeugten Geräuschteppiche.
@Volker:
Du irrst. Es gibt auch Privatradios, die journalistisch sauber arbeiten. Und es gibt auch dort RadiomacherInnen, die fair radio unterstützen.
Wir halten es deshalb für wichtig, schwarze Schafe zu benennen, um die Sender und HörfunkerInnen zu unterstützen, die journalistische Standards wahren (wollen). Im Privatradio UND im ör Rundfunk.
Übrigens: Selbst wenn alle Privatradios verkappte Anzeigenblätter und unjournalistische Quatschprogramme wären, Privatradios erreichen irre viele HörerInnen. Also ist es auch vernünftig, sie medienkritisch zu würdigen und HörerInnen für Rechtsverstöße und Fragwürdigkeiten zu sensibilisieren.
Übermedien macht das ja mit dem Projekt „Topf voll Gold“ zurecht auch für Klatschblätter.
Radio – egal ob Privat oder öffentlich-rechtlich – kommt (auch gemessen an der Reichweite und Wirkmächtigkeit) eher noch viel zu kurz. Finden wir von fair radio. Für ein glaubwürdiges Radio.
Diese Produktion, die „ANT NDS Kindernachrichten“ ist das billigste, was ich mir jemals im Privatdudelfunk anhören durfte.
Schon diese arrogante Station Voice zu Beginn macht ja quasi klar, dass man da nichts ernst nehmen darf.
Die gehören ja aber auch, wie 89.0 RTL und 104.6 RTL zur RTL-RADIO-Gruppe. Sagt doch eigentlich schon alles, wenn man dem Niveau-Klischee glauben darf, oder?
Wenn man Kindern zuhause oder in der Schule Medienkritik beibringen möchte, macht man das nicht idealerweise am konkreten Beispiel, mit Medien, die Kinder kennen und verstehen und ggf auch grad den heimischen Stories? Also, abseits des Digitalen eben genau den Kindernachrichten in TV/Radio oder zB dem Lokalblatt und vl nicht gleich FAZ? Finde hier im Blog prima Anschauungsmaterial grade auch im Kleinen. Und nicht nur für die Kleinen.
Ich bin mir sicher, die Reichweite vieler kommerzieller Privatradios ist viel größer und sie werden täglich mehr konsumiert als manche der ansonsten hier kritisierten Printmedien.
Deswegen gibt es überhaupt keinen Grund die hier nicht zu thematisieren, nur weil „man“ ja sowieso schon weiß, dass die keinen objektiven Journalismus bieten, sondern Werbekunden zufrieden stellen wollen.
Solange die journalistische Beiträge liefern und kein reines Schlagerwelle-Spaßradio sind. müssen auch diese am normalen journalistischen Standard gemessen werden.
OT, aber bin leider berufsbedingt dran hängen geblieben: @Volker
„Zudem: Die Rechtssprechung sowie der Gesetzgeber haben sich längst vom Bild des unmündigen Verbrauchers, der vor allem Unbill dieser Welt geschützt werden müsste, verabschiedet.“ – Woraus leiten Sie das her?
„…getextet von erwachsenen Redakteuren. Kira zeige die Weltsicht einer 12-Jährigen…“
Das ist ja eine Selbstverleugnung in fast schon trumpschen Ausmaßen! Erwachsene texten für eine 12-jährige, die damit eine Kindersicht verlautbaren soll.
Mal wirklich interessant und vermutlich nicht viel teurer wäre es, wenn tatsächlich eine Gruppe aus 12-jährigen Texte für 1-2 Minuten am Tag verfassen würden. Aber vermutlich würde das vom Radioeinheitsbrei zu sehr ablenken. :(
Gibt da diesen Spruch …
Nur wenn weiss was man sieht,sieht man was weiss ?!
sowas in der Art…
Und was der Herr Niggemeier macht ist,dabei zu helfen den richtigen Blick zuentwickeln/zuschulen sprich Medienkompetenz zubekommen/zubehalten…weiterzuentwickeln
Und irgenswie diese Kritik“alles schon bekannt“ höhlt dieses Vorhaben aus…ob beabsichtigt oder nicht.
So das Herr Niggemeier irgenswann sagt :Nö ist eh alles bekannt,ich gehe fürs Boulevard arbeiten!