Rheinische Post

Wie Hannelore Krafts Ja-Wort zum Aufreger-Zitat wurde

Viele haben sich darüber aufgeregt vor drei Wochen: über die Arroganz, das Taktieren, die ganze Art. Über einen Satz aus rund 60 Minuten Gespräch.

Ich weiß, wer es wird, aber ich sage es Ihnen nicht.

Hannelore Kraft, die NRW-Ministerpräsidentin, soll das so gesagt haben, auf die Frage, ob sie wisse, wer Kanzlerkandidat der SPD werde. Das Zitat machte schnell die Runde. Erst stand es bei der „Rheinischen Post“, später griff es die Deutsche Presse-Agentur (dpa) auf – danach stand es überall.

Aber: Der Satz ist so nie gefallen.

Das vermeintliche Zitat stammt vom Abend des 28. November 2016. Kraft war damals zu Gast beim „Ständehaus-Treff“, einer Düsseldorfer Plauderrunde, ausgerichtet von der „Rheinischen Post“ (RP). Mit RP-Chefredakteur Michael Bröcker sprach Kraft über dies und das, „Politik und Privates“, wie die RP nachher schrieb, und irgendwann, so zeigt es ein bisher unveröffentlichter Video-Mitschnitt, lenkte Bröcker das Gespräch auf die so genannte K-Frage:

 

Fassen wir kurz zusammen: Journalist Bröcker fragt Kraft, was Journalisten immer gerne fragen, nämlich wer denn nun Kanzlerkandidat werde. Kraft sagt darauf, was gerade alle sagen in der SPD: Dass die Partei die Entscheidung im Januar 2017 treffen werde. Tja, und dann fragt Bröcker, ob sie es denn schon wisse, und Kraft sagt „Ja“, lacht, das war’s. Bröcker fragt nicht einmal weiter, er geht flugs über zu Krafts Hochzeitsfotos. Und daraus wurde dann:

Ich weiß, wer es wird, aber ich sage es Ihnen nicht.

RP-Chefredakteur Bröcker sagt auf Nachfrage von Übermedien, es sei keine Absicht gewesen, das falsch darzustellen. Er räumt ein: „Die Tonalität ist schon eine andere.“ Der Autor seiner Zeitung habe „von der Veranstaltung abends noch für die Zeitung am nächsten Morgen geschrieben und die Zitate zusammengezogen.“ Fragt sich lediglich: Welche Zitate? Im Telefonat mit Übermedien sagt Bröcker, er habe nachgefragt, ob sie es verraten wolle – und Kraft habe darauf „Nein“ geantwortet. Deshalb das zugespitzte Zitat. Im Video, das die RP anschließend zur Verfügung gestellt hat, findet sich die Nachfrage aber nicht. Wie gesehen: Da sind nur Hochzeitsfotos.

Umso sonderbarer ist es, wie lange Kraft damit wartete, das richtig zu stellen. Regierungssprecher Thomas Breustedt hatte das Zitat nach Angaben des WDR sogar zunächst bestätigt. Heute sagt er, lediglich bestätigt zu haben, dass Kraft weiß, wer es wird – den genauen Wortlaut nicht.

Bis Kraft den dann dementierte, dauerte es einige Zeit: Wie dpa auf Anfrage von Übermedien erklärt, bat die NRW-Landesvertretung erst vier Tage nach der Talk-Runde darum, „das Zitat nicht mehr zu verwenden“. Drei weitere Tage später „bestätigte dies der Chefredakteur der Zeitung der dpa telefonisch.“ Erst dann hat dpa das Zitat gesperrt und korrigiert. Eine Woche nach der Veranstaltung.

Die „Rheinische Post“ hatte den Satz derweil schon geräuschlos gelöscht. Das richtige Zitat („Ja“) habe er zwei Tage nach dem Talk in seinem Newsletter genannt, „den beziehen 50.000 Leser“, beteuert Bröcker zwar. Bis die RP einen Hinweis unter alte Texte zum Thema packte, dauerte es allerdings. Nun gibt es eine Korrektur, aber auch nicht überall, und komischerweise korrigiert das nicht die RP selbst, sie zitiert den Regierungssprecher. Und im Text steht nun:

Zur Frage, ob sie wisse, wer SPD-Kanzlerkandidat werde, überraschte sie mit der knappen Äußerung: „Ja.“ Sie wisse es. Verraten wollte sie es aber nicht.

„Das hätten wir besser machen sollen“, sagt Bröcker jetzt. Der Verlag seiner Zeitung ließ sich auf Übermedien-Anfrage auch noch viel Zeit, das Video vom Abend herauszugeben. Das habe man ja noch nie bei einem „Ständehaus-Treff“ gemacht, hieß es. Erst nach vielen Mails und dem Einverständnis der NRW-Staatskanzlei reagierte die RP dann, beauftragte „einen Techniker“ damit, das Video zugänglich zu machen. Das dauerte dann noch einmal ein paar Tage. Und dann gab die RP das Video nicht Übermedien oder anderen Journalisten, sondern: Hannelore Kraft. Die anschließend damit machen durfte, was sie wollte. So engagiert also war die RP bei der Aufklärung.

Aber nun ist ja ohnehin schon alles zu spät. Nachdem das (falsche) Zitat bekannt war, kassierte Kraft Kritik von allen Seiten: „Peinlicher geht’s nimmer“, urteilte zum Beispiel das „Westfalen-Blatt“; ihre „kindische Äußerung“ könne man „mit Fug und Recht parteischädigend“ nennen, befand die „Berliner Zeitung“, der „Focus“ meinte, der Satz sei „arrogant“ und ihm hätte nur noch das „Ätsch“ gefehlt, und Armin Laschet, Chef der NRW-CDU, polterte gleich, Kraft fördere „Verdrossenheit und Populismus“.

Eine absurd hitzige Diskussion um einen einzigen Satz, der nie so gefallen ist. Kraft sprach auch nicht in so einem Ätschibätsch-Tonfall einer Wissenden, die sich mit ihrer Informiertheit brüstet – aber eben auch dafür wurde sie kritisiert. Vielmehr sagte sie einfach nur das, was einen Tag zuvor in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ stand:

Also fragen wir nach im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale. Ja, es gebe einen gemeinsamen Plan von Gabriel und Schulz. Und es sei auch schon eine Entscheidung gefallen. Oha. Wie lautet die denn? Wird noch nicht verraten. Das ist sozusagen Teil des Plans.

War also gar keine Nachricht. Die „Rheinische Post“ machte aber eine daraus, als wäre es überraschend, dass die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende und Chefin des mächtigsten NRW-Landesverbandes eingeweiht ist.

Ausriss "Rheinische Post" 29.11.2016
Screenshot: rp-online.de

Natürlich kann man es nervig oder unklug finden, dass Kraft, dass die SPD insgesamt, erst im Januar sagen will, wer kandidiert. Andererseits: Kann die SPD das nicht einfach so machen? Wo steht, außer in Kommentaren von Journalisten und Tweets der Opposition, dass die Partei das sofort muss? Und ist der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nicht möglicherweise näher am so genannten Volk, wenn er (in der „Rheinischen Post“)  sagt:

Das Wahljahr beginnt 2017. Jetzt im Dezember interessiert die Menschen doch mehr, was sie ihren Kindern zu Weihnachten schenken oder wo sie Silvester feiern.

Journalisten nicht. Da kann es noch so viele Fragen geben, die derzeit brennen: Die K-Frage bewegt Journalisten ungemein, schon immer. Sie wollen wissen, wer es wird, um sich dann am Kandidaten abzuarbeiten. Wer die SPD in den Wahlkampf führt, diese Frage hat beispielsweise „Bild“ schon gestellt, da trugen die Bäume gerade Blätter. Und neulich, im „Bericht aus Berlin“, schien Thomas Baumann, einst langjähriger ARD-Chefredakteur, Martin Schulz geradezu überreden zu wollen, den SPD-Kandidaten zu geben. Alle drehen sich im Kreis, gut neun Monate vor der Bundestagswahl.

Dass ein wörtliches Zitat stimmen muss, ist eine Selbstverständlichkeit. Es, wenn sich als falsch entpuppt, offensiv zu korrigieren, sollte auch eine sein. Aber da machte die „Rheinische Post“ eine doppelt schlechte Figur.

Der WDR, beispielsweise, hat das Zitat unter dem alten Text korrigiert. Viele andere nicht. Die „Westfälischen Nachrichten“ (WN) „Westdeutsche Zeitung“ (WZ) hingegen, der lokale Wettbewerber der RP, veröffentlichte – ganz offen und transparent – einen neuen Text und zog sogar den Kommentar von vor drei Wochen zurück. Eben weil er Kraft für ein Zitat kritisierte, das es so nie gegeben hat.

18 Kommentare

  1. Mir ist noch ein Kommentar unter dem entsprechenden Artikel bei ZeitOnline im Gedächtnis. Da polterte einer, wenn sie nichts zu sagen habe, könne sie gleich den Mund halten.
    Mir erschien es damals schon unwahrscheinlich, dass sich eine Politikerin auf die Bühne stellt, diesen einen Satz sagt und dann die Bühne wieder verlässt. Nur in diesem Fall wäre der Satz von ihr nämlich so in die Welt gesagt worden, wie er bei den meisten von uns angekommen ist. Isoliert, aus dem Nichts und vollkommen ohne Zusammenhang. Und nur so wäre die ganze Kritik und der Brabbel drum herum und die Forderung, sie solle den Mund halten, gerechtfertigt gewesen.
    Das scheint bei falschen Zitaten natürlich noch irrer zu sein. Aber selbst bei richtig zitierten Aussagen erscheint es mir bisweilen so, dass der Kontext nicht unerheblich ist und die Zitierten im Nachhinein überrascht sind, wie ihr Redefluss später aufgefasst wird.

  2. Bei SPON scheint die Geschichte vom umgefallenen Sack Reis aber noch nicht angekommen zu sein, die berichten eben wieder taufrisch von dem Kraft-Wort.

  3. Die Geschichte ist eines der Symptome des eigentlichen Übels, das im Text oben so zusammengefasst wird: Journalisten seien schon immer stark von der K-Frage umgetrieben, damit sie sich dann am Kandidaten abarbeiten können.
    Man möchte hoffen, dass diese Aussage zu stark pauschalisiert, aber sie klingt so verdammt plausibel.

  4. Ein Zitat fälschlich zu verlängern, auch wenn es den gleichen Sinn behält, ist natürlich ein No-Go.

    Noch schlimmer finde ich aber das Rumgeeiere der SPD: Warum sagt man nicht einfach: „Wir beraten uns noch“ o.ä.? Zu bekennen, dass man schon weiß, wer es wird, aber mit der Verkündung noch zwei Monate zu warten, ist nun wirklich Kindergarten-Niveau und läd die Presse geradezu ein, umso intensiver rumzustochern.

  5. Vielleicht würde ja manchen Journalisten das Zusammenfassen leichter fallen, wenn Entscheider bei ihren Antworten nicht immer sooooo weit ausholen würden – um dann die gestellte Frage doch nicht zu beantworten?
    Merke: „Fasse dich kurz“ hat immer noch seine Berechtigung …

  6. @Inga:
    Zu kurz dürfen sie natürlich auch wieder nicht werden. DAS überfordert dann die Jounalisten ebenfalls und sie dichten (siehe Fall Kraft) etwas hinzu!

    So ein, zwei (normale) Sätze, das wäre wohl das Optimum! ;-)

  7. @Schmart

    Wenn Journalisten ein „Ja“ nicht richtig zitieren können/wollen, was meinen Sie dann wie es mit ein, zwei Sätzen aussähe?

    Das Problem ist heutzutage die Effekthascherei und nicht wie Politiker und andere einfach mal so dafür missbraucht werden. Verantwortungsbewusster Journalismus sieht anders aus. DAS ist Lügenpresse mal andersrum.

  8. @Memo:
    Ich will ja die Presse, die eigentlich vom Verkauf von Sensationen sehr gut lebt, nicht reinwaschen. Daher bin ich auch ein Verfechter der ÖR-Medien, deren wirtschaftliche Abhängigkeit vom Absatz / von den Zuschauerzahlen nicht ganz so stark ist.

    Die Unart von Politikern, seltenst auf die ihnen gestellten Fragen einzugehen (gut, bei Kraft war es diesmal anders!), ist allerdings eine auch Unart, die die Interpretationsfähigkeiten eines Jeden geradezu herausfordert …

  9. Da geben ich Ihnen vollkommen Recht @Schmart.

    Meine Kritik an Journalisten bezog sich ausschließlich auf den konkreten Fall; auch wenn es kein Einzellfall ist.

    Bezeichnenderweise sind die Neupolitiker der AfD in kürzester Zeit zu den größten Meister dieser Disziplin (Ausweichen) aufgestiegen.

    Und auch was die ÖR betrifft, kann ich Ihre Aussagen 100% unterschreiben.

  10. Das Problem sind Politiker wie Armin Laschet, die „den Leuten“ erklären wollen, wodurch ihre Politikverdrossenheit entsteht.
    Bei mir entsteht Verdruss immer dann, wenn mir jemand erklären will wie ich ticke.

    Ob Frau Kraft nun irgendwas weiß und nicht mitteilen will, okay.
    Dazu kann ich mir ja meine eigene Meinung bilden und weiß dann auch, ob das bei mir Verdruß fördert oder nicht.

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