Hasswort (58)

Knödelexpress

Im Fernzug von Berlin nach Prag gibt’s auch Knödel, okay. Aber wer nennt deshalb den Zug „Knödelexpress“? Erfunden hat den Begriff offenbar der „Tagesspiegel“, dann verbreitete er sich. Unseren Autor macht er eher wütend.
Cartoon: Hauck & Bauer

Vielleicht haben Sie auch schon vom Abschied vom sogenannten „Knödelexpress“ gelesen. In den vergangenen Monaten gab es zahlreiche nostalgisch angehauchte Texte über den Speisewagen im Fernzug zwischen Berlin und Prag, der bekannt war für seine roten Klappsessel aus Kunstleder, die runden Tischlampen und die frisch zubereiteten Speisen, die ab dem Grenzübergang Děčín weniger kosteten als auf der deutschen Strecke. Die tschechische Staatsbahn České dráhy (ČD) ersetzt nun die alten Speisewagen vom Typ WRmz815 nach und nach durch moderne Modelle.

„Der beliebte ‚Knödelexpress‘ ist im Sommer Geschichte,“ titelte zum Beispiel der „Spiegel“. Selbst der englische „Economist“ schrieb vom „Looming end of the Knödelexpress“. Und erst in dieser Woche fragte die „Sächsische Zeitung“: „Wann fährt der letzte ‚Knödel-Express‘ zwischen Sachsen und Prag?“

Als gebürtiger Dresdner, der nur 50 Kilometer entfernt von der tschechischen Grenze aufgewachsen ist, triggert mich das einfach nur. Ich hatte bis vor ein paar Jahren noch nie vom Begriff „Knödelexpress“ gehört oder gelesen. Ähnlich erging es zahlreichen Eisenbahnerfreunden, die ich befragt habe. Und auch meine Großmutter erwähnte früher allenfalls den „Vindobona“, den historischen internationalen Zug, der ab 1957 zwischen Berlin und Wien über Dresden und Prag fuhr.

Danke, „Tagesspiegel“!

In der „Spiegel“-Meldung im Februar war zu lesen, die Eurocity-Züge „verdanken ihren Namen weißen Tischdecken und Brauhaus-Atmosphäre im Speisewagen“. Was nicht genau erklärt, warum sie dann ausgerechnet „Knödelexpress“ genannt werden, aber egal. Es stimmt auch einfach nicht. Denn nach ein bisschen Recherche zur Herkunft des Begriffs bin ich mir sehr sicher: Der „Knödelexpress“ verdankt seinen Namen dem „Tagesspiegel“. Er hat den Neologismus 2019 in einer Überschrift erstmals verwendet – und irgendwann danach scheint er Flügel gekriegt zu haben.

Ferdinand Hauser, ein deutscher Autor in Diensten von Radio Prag International, schrieb in seinem Abschiedstext zum Jahresbeginn ganz richtig: „Die Presse nennt ihn oft ‚Knödelexpress‘. Doch in Wirklichkeit hat kein Mensch in der Welt diesen Wagen jemals so bezeichnet.“ Auch im Tschechischen habe ich keinen Begriff gefunden, der sich mit „Knödelexpress“ oder ähnlich übersetzen ließe.

Mich macht dieser Begriff wütend. Denn er ist intellektuell faul, überheblich und ein wandelnder Stereotyp über das Nachbarland. Das einzige Gericht auf dem regulären Menü des alten ČD-Speisewagens, das mit Knödeln serviert wird, ist Svíčková [ˈsviːt͡ʃkɔvaː], dünn geschnittener Rinderbraten mit einer sämigen Soße aus aufgekochter Sahne und püriertem Wurzelgemüse sowie einem Klecks Sahne und Preiselbeeren verziert.

Eher schon: Svíčková-Express

Es ist ein tschechisches Nationalgericht, auf der Speisekarte als eines der „Czech Specials“ beworben. Wenn man sich schon ein Kunstwort ausdenken muss, weil einem der Begriff Speisewagen zu langweilig ist, hätte man den Zug also auch gut und gerne Svíčková-Express nennen können. Aber das hätte wohl letztlich nicht nur die linguistischen Fähigkeiten des Publikums, sondern auch die der Autorinnen und Autoren überfordert. In der K.u.K.-Monarchie wurde schließlich auch überall Deutsch gesprochen.

Dieser Speisewagen scheint in den vergangenen Jahren zahlreiche Kolleginnen und Kollegen in seinen Bann gezogen zu haben. Man kann leicht den Eindruck gewinnen, dass Reiseberichte aus diesem rollenden Restaurant ein eigenes Genre geworden sind. Michael Brake hat schon 2023 in der „taz“ bemerkt: Journalisten „vergöttern“ diesen Ort, denn er drücke all ihre Knöpfe – Nostalgie, Zivilisationskritik und einen obligatorischen Hauch Ostblockromantik.

Im erwähnten „Tagesspiegel“-Text, der mutmaßlich der Ursprung der Wortschöpfung „Knödelexpress“ ist, schreibt die Autorin:

„Der tschechische Speisewagen dagegen hat so was – Altmodisch-Zivilisiertes. […] Auch 100 Jahre nach dem Zusammenbruch des Habsburger Reichs hat man hier, mit einer Prise Ostblock vermischt, ein k.undk.-Gefühl. Wozu die österreichischen Manner-Wäffelchen zum Kaffee ihren Teil beitragen. Allein der weiche Klang der tschechischen „dsch“-Laute versetzt den Reisenden in beste Reiselaune.“

So viel Verklärung gibt sich Sebastian Wilken in seinem Newsletter „Zugpost“ nicht hin, aber er hat immerhin ein paar gute Argumente aufgeschrieben, die für den Erhalt von klassischen Speisewagen in Fernzügen sprechen: „Speisewagen mögen auf eigenen Beinen nicht einträglich sein, aber als Teil eines größeren Ganzen machen sie Züge und die Eisenbahn stärker und attraktiver.“ Letztlich sorgten auch sie mit ihrem Erlebnis dafür, dass aus Fahrgästen Fans würden, schreibt Wilken.

Die ČD immerhin freut sich über die Wortschöpfung „Knödelexpress“, wie Unternehmenssprecher Filip Medelský auf Anfrage erklärt. „Es ist uns aber auch wichtig zu betonen, dass wir nicht nur Knödel servieren, sondern eine große Auswahl an Gerichten, zusammengestellt von tschechischen Spitzenköchen.“ So viel Werbung muss sein. „Und wer weiß“, schreibt er noch, wenn die alten Speisewagen nun durch moderne Restaurantwagen ersetzt würden, vielleicht würden sich die Leute ja dann auch einen neuen Spitznamen ausdenken. Warten wir es ab.

Bei so viel Fan-Zuspruch ist es jedenfalls nicht verwunderlich, dass auch die im Herbst 2024 verkündete Außerbetriebnahme dieser speziellen Speisewagen eine eigene Untergattung hervorgebracht zu haben scheint: Den Abschied-vom-Knödelexpress-Text.

Ein solcher ist auch in der „Zeit“ erschienen. Ob der Autor tatsächlich die „Fans“ getroffen hat, die die alten Speisewagen „Knödelexpress“ nennen, wie er behauptet, bleibt fraglich. Wahrscheinlich hat er damit einfach sich und die anderen Journalisten gemeint. Der „Zeit“-Reporter war jedenfalls so begeistert, dass er die Mitarbeiter im Speisewagen gleich „Knödel-Kellner“ taufte.

4 Kommentare

  1. »In der K.u.K.-Monarchie wurde schließlich auch überall Deutsch gesprochen.«
    Den Satz verstehe ich nicht – was ist damit gemeint?

  2. @nömix:
    „K. u. K.“ war das amtliche Kürzel für „kaiserlich [-östereichische] und königlich [-ungarische]“ gesamtstaatliche Behörden in Österreich-Ungarn, den von 1867 bis 1918 existierenden Staat in Mitteleuropa, zu dem auch das Gebiet der heutigen Tschechischen Republik gehörte. Es wird auch zur informellen Bezeichnung ebenjenes Gesamtstaates verwendet.

    Fun fact: Genauer wäre es gewesen, wenn der Autor seiner Polemik „K. k.“ vorangestellt hätte. Denn das stand für „kaiserlich [-östereichische und] königlich [-böhmische]“ teilstaatliche Behörden in der westlichen Reichshälfte, wo für österteichisches Deutsch ein privilegierte Status anzunehmen ist. Tatsächlich war die Minderheitenpolitik dort aber über weite Strecken liberaler als in der ungarischen Reichshälfte.

    Das reicht an Nerdigkeit für heute.

    Liebe Grüße :)

  3. @ AE,
    danke für die Antwort. Die K.u.K. Monarchie ist mir natürlich ein Begriff, meine Frage bezog sich auf »[..] überall Deutsch gesprochen«: handelte es sich ja um ein Vielvölker-Staatsgefüge, wo zahlreiche unterschiedliche Muttersprachen gesprochen wurden.
    Gruß, aus Wien

  4. @nömix
    Ich denke, der Satz ist ironisch-polemisch Richtung Tagesspiegel gemeint, etwas vorgreifend auf das etwas später folgende Zitat bezüglich der Kaiserzeit, verquickt mit der Tatsache, dass der tschechische Name der einzigen Knödel-Speise souverän missachtet wurde.

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