Lokaljournalismus im Hochwasser

Abwechselnd Sandsäcke und den Live-Ticker befüllen

Die Fußgängerbrücke rechts von mir, die eigentlich über den Stadtgraben führt, endet im Wasser. Auf beiden Seiten. Bald wird sie ganz in den Fluten versunken sein. Wie die Straße vor mir. Wasser leckt an den Reifen meines Autos. Ich wende und parke ein paar hundert Meter weiter in der Schrobenhausener Altstadt. Vom Regen mal abgesehen ist es hier noch trocken. Es ist Samstag gegen 21.30 Uhr, mitten in der Flutkatastrophe in Oberbayern. Der Nachthimmel flackert von Hunderten Blaulichtern. Mein Ziel ist das Altenheim an der Straße, die eben schon unter Wasser stand. Dort werden demnächst angeblich die Bewohner in Sicherheit gebracht. Gebrechliche Menschen, die womöglich durch Fenster auf Lastwagen geholt werden müssen. Die Angehörigen sind besorgt. Die lokalen Facebook-Gruppen sind voll mit Fragen zur Lage. Jeder weiß etwas, keiner weiß, was stimmt.

Und da komme ich ins Spiel. Ich bin Redakteurin bei der „Schrobenhausener Zeitung“, der einzigen Zeitung in unserer 18.000-Einwohner-Stadt zwischen Ingolstadt und Augsburg. Die Lokalredaktion gehört zum „Donaukurier “ und die Zugriffszahlen auf unserer Homepage gehen schon jetzt durch die Decke. Die Menschen wollen wissen, was los ist, wie viele Sorgen sie sich machen müssen, sie brauchen gesicherte Informationen. Neben den Feuerwehrleuten und Polizisten, den THWlern, Rotkreuzlern und all den anderen Einsatzkräften ist jetzt der Lokaljournalismus gefragt. Also muss ich mir ein eigenes Bild davon machen, was da gerade passiert. Trotz des Katastrophenfalls. Und gerade deswegen.

Überflutungen in der Altstadt von Schrobenhausen
Das Wasser in der Altstadt steigt schneller als gedacht Foto: Isabel Ammer

Im Normalfall hat bei uns an jedem Wochenende ein Redakteur Dienst, heute bin ich das. Vier, fünf zu befüllende Seiten sind Standard im Lokalteil der Montagsausgabe, oft sind freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einsatz. Sie liefern Texte zu, wir layouten, redigieren und berichten vielleicht über einen, höchstens zwei wichtige Termine selbst. Mehr ist bei all den anderen Aufgaben an einem Sonntag nicht zu schaffen. Ich mag gut geplante Wochenenddienste. Wenn ich weiß, was wann von wem kommt, wie viel es sein wird und wie ich die Seiten damit layouten will. Doch dieser Wochenenddienst ist definitiv keiner davon.

Zuhause laufen die Pumpen, ich fahre raus

Das ahne ich schon am Freitag, als ich die Unwetterwarnung vom Deutschen Wetterdienst für unsere Region lese. Draußen regnet es seit Stunden und auch noch die ganze Nacht hindurch. Samstagfrüh steht Wasser in den Lichtschächten vor meinem eigenen Keller in einem Dorf bei Schrobenhausen. Das passiert vielleicht zweimal im Jahr. Und ein Ende des Regens ist nicht in Sicht. Es scheint ernster zu werden, als ich dachte. Der Nachbar leiht uns noch eine zusätzliche Pumpe, kurz darauf setze ich mich in mein Auto. Mein Partner hält daheim die Stellung. Mal sehen, wie es in der Region so aussieht.

Viele Felder und Wiesen entlang dem Fluss Paar, der sich durch unsere Landschaft schlängelt, stehen neben der Bundesstraße unter Wasser. In Schrobenhausen treffe ich auf ein paar nette Feuerwehrleute, einer davon nimmt mich im Einsatzwagen mit ins gefährdete Gebiet, wo Kieslaster gerade mehrere Tausend Tonnen Schotter zu Wällen aufschütten. Ich mache Fotos, ich filme, ich schreibe mit und schicke direkt ein Bild mit Text an die Onlineredaktion. Ich bin als Lokaljournalistin die berühmte eierlegende Wollmilchsau. Immer wieder pendle ich an diesem Tag zwischen meinem Keller und der Arbeit hin und her. Richtung Abend dann wird die Lage in Schrobenhausen zusehends kritisch, die Nachrichten auf meinem Handy häufen sich. Ich muss nochmal raus, selbst sehen, was da los ist.

Zum Glück kenne ich meine Stadt. Ihre Gassen und Winkel, ihre Durchgänge und Brücken. Doch viele Wege sind inzwischen versperrt. Rund um die Altstadt liegt wie ein Ring der Stadtwall, davor ein kleiner Kanal, ganz in der Nähe fließt die Paar. Was sonst ein idyllisches Flüsschen ist, wird gerade zum Strom. In der Stadt ist Hochbetrieb. Menschen schaufeln verzweifelt Sandsäcke und Schotter in die Tore, die auf den Stadtwall hinausführen. Von außen schwappt Wasser gegen die historischen Mauern. Das Spritzen vermischt sich mit dem Regen. Eine Frau fragt mich, was mit dem Abwasserkanal ist, „die Kanaldeckel laufen über“. Was das jetzt für ihre Wohnung bedeute. Ich weiß es leider nicht. Ich nehme mir vor, gleich noch bei der Feuerwehr nachzufragen und darüber zu berichten, doch die Frage erledigt sich.

Denn aus einer Seitengasse läuft mir Wasser entgegen, das Wasser quillt hier nicht mehr nur aus den Kanaldeckeln, es kommt übers Kopfsteinpflaster auf mich zugelaufen. Wie mein Kollege aus dem Lokalsport. Er befüllt abwechselnd Sandsäcke und den „Donaukurier“-Liveticker. Seit Stunden. Beides freiwillig, beides steht für ihn außer Frage – obwohl er gar nicht offiziell im Dienst ist. Gerade dreht er wieder eine Runde für neue Bilder und Informationen, bevor er zu den Helfern an den Sandsäcken im Bauhof zurückkehrt.  Eine Feuerwehrfrau in voller Montur taucht wie ein Fels in der Brandung vor uns auf. Sie lässt Autofahrer um Autofahrer wenden, wir gehen weiter. Um aus erster Hand und nicht vom Hörensagen berichten zu können, wie ernst die Lage ist, müssen wir uns selbst ein Bild machen. „Am Kreisel oben steht schon das Wasser“, sagt die Frau und nickt uns zu, als wir vorbeilaufen. Einen Presseausweis braucht hier nur, wer niemanden kennt – wenn überhaupt.

Mein Sandkastenfreund fährt Radlader

Ein Radlader kommt um den Kreisverkehr gefahren, auf seiner breiten Schaufel stehen acht Menschen. Das Wasser hatte sie am Busbahnhof eingeschlossen. Die breiten Reifen des schweren Gefährts bahnen sich ihren Weg durch die aus Richtung Paar heranlaufenden Bäche. Ein gutes Fotomotiv, wie automatisch drücke ich ab und filme die Szene gleich noch, die Handykamera habe ich sowieso in der Hand. Die Leute springen ab, der Radlader kehrt um, zurück ins Wasser. Auf einem davon fährt an diesem Abend ein alter Sandkastenfreund von mir. Er ist bei der Nachsuche mit dabei, ist also bei den Einsatzkräften, die schauen, ob noch Menschen aus den Fluten gerettet werden müssen. Auf die Gefahr hin, dass der Radlader womöglich selbst nicht mehr durchkommt. In dieser Nacht ist er der letzte, der noch durch die Stadtmitte fährt.

Ein Radlader rettet auf seiner Schaufel mehrere Menschen aus der der Flut
Ausnahmezustand im bayerischen Schrobenhausen: Diese Menschen entkommen der Flut auf der Schaufel eines Radladers Foto: Isabel Ammer

Der Vorteil, die Menschen zu kennen, ist: Ich weiß immer, wen ich fragen muss. Ganz gleich, worum es geht. Viele Menschen erkennen mich auch und kommen mit Informationen zu mir, schicken mir Bilder, wenn ihnen etwas auffällt, das sie interessiert und worüber sie gerne mehr in der Zeitung lesen würden. Es ist oft ein Geben und Nehmen. Der Nachteil, die Menschen zu kennen, sind an diesem Abend die Sorgen. Um sie. Um alle hier. Angeblich wird in einem anderen Stadtteil eine Frau vermisst, erzählt jemand. Ich hoffe, dass es niemand ist, den ich kenne.

In der Nacht breche ich den Reportereinsatz ab

Eine Welle schwappt über meine Schuhe. Es ist nach 22 Uhr und die Strömung drückt jetzt richtig hinein in die Stadt. Ich halte mit dem Handy drauf. Das Video bekommt die Online-Redaktion. Den Live-Ticker aus der Hochwasserregion verfolgen Tausende Menschen. Wasser sprudelt in zig kleinen Wasserfällen durch Gartenzäune, steigt die Mauern empor. Mit einer Wucht, wie ich sie noch nie gesehen habe. Und plötzlich sind die aus den Medien so vertrauten Bilder vom Wasser, das irgendwo auf der Welt Straßen und Städte und Landstriche flutet, unsere Realität.

Ich habe als Journalistin schon viele Brände miterlebt, darüber berichtet, wie die Einsatzkräfte gegen die Flammen kämpfen, habe die Hitze gespürt und gesehen, wie das Dach einer Kirche im roten Feuerschein einstürzt. Wenn ich daran denke, rieche ich heute noch den Rauch. Doch das hier ist anders. Diese Gewalt scheint völlig unbezähmbar in einer Stadt ohne richtigen Hochwasserschutz. Kein Mensch, kein Sandsack, kein Schotterwall hält diese Flut jetzt noch auf. Und ich frage mich kurz, was ich hier mache. Ich spüre die Angst vor der Naturgewalt, die da auf uns zukommt. Furcht vor dem, was sie für die Menschen mit sich bringen wird, aber auch für mich, wenn ich noch länger hier stehen bleibe, um zu berichten. Klatschnass breche ich den Reportereinsatz ab.

Mit dem Auto gibt es nur noch einen Weg aus der Altstadt. Wasser spritzt, als ich gerade noch durchfahre. Von beiden Seiten läuft es jetzt in die Stadtmitte, bald schon wird es in manchem Erdgeschoss 50 Zentimeter oder höher stehen. Autos werden bis unters Dach geflutet, Hunderte Menschen von hier und aus anderen Stadtteilen weggebracht. Sie verbringen die Nacht auf Feldbetten in Notunterkünften, viele kommen nur mit dem, was sie am Leib tragen. Denn das Wasser kommt viel schneller als man denkt. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner des Altenheims müssen doch noch bis zum nächsten Morgen ausharren, zu kritisch ist die Lage, zu gefährlich eine Rettungsaktion. Ohne richtig schweres Gefährt oder Schlauchboote ist das Gebäude nicht mehr zu erreichen. Eine Frau ertrinkt in dieser Nacht in ihrem Keller.

Nachts wird gelayoutet

Es ist nach 23 Uhr, als ich wieder zu Hause bin. Nass und frierend. „Plant ihr heute noch etwas?“ Eine Meldung im Redaktions-Chatsystem ploppt auf. Auch die Kollegin hat einen langen Samstag hinter sich. Sie sitzt in der Online-Redaktion der „Passauer Neuen Presse“, zu der der „Donaukurier“ seit 2017 gehört. Viele Reporter aus unserem Verbreitungsgebiet, die an diesem Wochenende mit Hochwasser zu tun haben, haben den Onlinern schon den ganzen Tag Inhalte für Homepage und Live-Ticker geliefert. Ich bin dankbar, dass auch mein Lokalchef sein freies Wochenende aufgegeben hat, um mitzuhelfen. So schnell überschlagen sich die Ereignisse im Laufe des Samstags und auch des Sonntags, dass es ein Einzelner kaum bewältigen könnte. Geschweige denn gut. Fast im Minutentakt kommen neue, immer weitergehende Informationen von Stadt und Landratsamt. Welche Straßen sind schon gesperrt? Wo wird gerade evakuiert? Wo drohen die nächsten Überflutungen? Ist das Leitungswasser noch trinkbar? Wie sieht es in den Nachbarkommunen aus? All das verpacken wir in Online-Texte, aktualisieren es, versehen es mit unseren ganz persönlichen Eindrücken der Katastrophe, deren Bilder uns alle wahrscheinlich noch länger verfolgen werden.

In meinem eigenen Keller laufen noch immer vier Pumpen, um das Grundwasser in den Lichtschächten unter Kontrolle zu halten. Weil es zu wenig Wasser ist, um sie durchlaufen zu lassen, müssen sie alle 15 Minuten ab- und wieder angeschaltet werden. Auch die ganze Nacht hindurch. Zum Glück nicht von mir alleine. Eine Lokalredakteurin braucht einen Partner mit viel Verständnis. Es ist inzwischen Mitternacht, ich fange an, meinen Aufmacher-Artikel zu layouten. Pumpen aus, Pumpen an. Gerade eben hat mir noch ein Hobby-Meteorologe, mit dem ich schon öfter Geschichten bei Unwettern gemacht habe, seine aktuellen Zahlen geschickt. Der Paarpegel hatte am Samstag um 22.45 Uhr ein Allzeithoch mit 3,65 Metern und einen Abfluss von über 100.000 Litern pro Sekunde. Zum Vergleich: Der ehemalige Höchstwert lag im Juni 2013 bei 3,48 Metern und einem Abfluss von 60.000 Litern in der Sekunde. Ich schreibe meinem Informanten eine kurze Mail, um mich zu bedanken. Spätestens jetzt weiß ich, dass es ein neues Jahrhunderthochwasser ist. Pumpen aus, Pumpen an.

Überfluteter Kinosaal in Schrobenhausen
Die Flut trifft auch das kleine Schrobenhausener Kino Foto: Isabel Ammer

Am Sonntagmorgen sind alle Straßen in Richtung Stadt geflutet. Mit dem Auto gibt es kein Durchkommen, ich kehre wieder um. Zum Glück kann ich von zu Hause aus arbeiten. Der Haken: Ich bin gerade die einzige Redakteurin mit eigenem Dienstlaptop in unserer Redaktion und damit auch die einzige, die von außerhalb der Redaktion Zugriff aufs Redaktionssystem hat. Die Umstellung weg vom Desktop-PC auf mobile Geräte ist zwar in vollem Gange in den Lokalredaktionen des „Donaukurier“, nur just in unserer Schrobenhausener Redaktion eben noch nicht abgeschlossen. 150 Hochwasserfotos erwarten mich im Posteingang, vielleicht mehr. Von unserem freien Fotografen, der für uns im Einsatz war, mit dem ich aber nur telefonisch Kontakt habe. Von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von Bekannten, von meiner Mama.

Eine Mail lässt mich stutzen. Eine Frau sucht ihre erwachsene Tochter mit Familie, sie möchte von mir wissen, wohin die Leute evakuiert wurden und wo sie ihre Tochter erreichen kann. Ich schreibe ihr, was ich zum Thema Notunterkunft weiß, und verweise ansonsten an die Polizei. Gerne hätte ich ihr mehr geholfen, ihr Vertrauen in die Lokalzeitung als Helferin in Notlagen rührt mich.

Redaktion nur mit Schlauchboot erreichbar

Im Laufe der kommenden Tage ploppen immer mehr Fragen bei uns auf. Viele sind ganz praktisch. Wann gibt es wieder Strom? Wohin mit dem Müll? Wo können wir helfen? Wir versuchen sowohl Service als auch Menschlichkeit zu bieten. Die Zugriffszahlen auf unserer Homepage steigen immer noch weiter. Teilweise aufs Achtfache der üblichen Werte. Mein Lokalchef arbeitet mir per Mail zu, telefoniert mit den Bürgermeistern der Landgemeinden, die in unserem Berichtsgebiet liegen, und schickt mir Textbausteine. Und dann schickt er mir noch etwas: Unsere Redaktion – sonst an einer Straße gelegen – steht jetzt mitten in einem See. Surreal idyllisch sieht das Bild aus, das er mir etwas später am Sonntag von irgendwem weiterleitet. Arbeiten wird da auch die nächsten Tage keiner. Selbst wenn man ein Schlauchboot nähme, fehlte es an Strom im Haus.

Im Laufe des Sonntags und Montags füllt sich das Hochwassergebiet mit Journalistinnen und Journalisten. Manchmal haben es die Überregionalen leichter, denke ich mir. Manche fotografieren den Leichenwagen, in dem die ertrunkene Frau abtransportiert wird. Meinem Kollegen graust es schon davor, ein Bild vom Keller von außen zu machen. Das kann ich gut verstehen. Doch die Reporter der großen Medien, die hier auflaufen, treffen auch nicht Familie oder Freunde der Frau die Woche drauf beim Bäcker. Wahrscheinlich denken vor allem die Boulevard-Fotografen nicht lange darüber nach, was für Gefühle ihre Berichterstattung bei den Betroffenen auslöst. Das ist für sie nicht groß von Bedeutung, wenn Schrobenhausen bald wieder zu irgendeiner Kleinstadt in Oberbayern wird und andernorts die nächste Katastrophe wartet. Doch für uns ist das relevant. Denn hier begegnet man sich nicht zweimal im Leben, hier begegnet man sich täglich. Und das will man guten Gewissens können.

Im Stadtgraben, in den der neu entstandene See vor der Redaktion übergeht, schwimmen noch einige Autos und ein Goldfisch. Wahrscheinlich ist er aus dem Altenheimteich hinein in die große Freiheit geschwommen, vermutet der Bürgermeister bei einem Treffen zur Lage am Montag. Sein Auto treibt übrigens auch in den Fluten, aber die Feuerwehr konnte seinen Regenschirm retten. Er schmunzelt. Na, so ein Glück. Die Hochwassernacht ist zwei Tage her, keiner hat viel geschlafen und ein bisschen Galgenhumor ist wieder erlaubt. Der war mir nur heute Morgen am Laptop mal kurz abhanden gekommen, bei der Mail eines Lesers, der mir schreibt: „Bitte auch rausgehen und sich ein Bild von der Lage machen.“ Was bitte tue ich hier seit Tagen?

Gerümpel auf der Straße nach der Flut in Schrobenhausen
Aufräumen: Das Wasser ist weg, die Lokalberichterstattung geht weiter Foto: Isabel Ammer

In der Innenstadt spritzen Wasserschläuche den ganzen Montag über Fontänen in weiten Bögen aus Kellern auf die Straße. Menschen kehren den Schlamm aus ihren Zimmern und Fluren. „Kannst du nochmal in die Zeitung schreiben, dass die Feuerwehr das Wasser nur bis auf fünf Zentimeter runter auspumpt, den Rest müssen die Leute selber machen“, ruft mir ein Feuerwehrler zu. Wer helfen will, soll gerade am besten da anpacken, fügt er hinzu. Jemand erzählt mir, wie der Geschäftsführer des Kreiskrankenhauses in der Notunterkunft die halbe Nacht Blutdruck gemessen und Insulin gespritzt hat. Angeblich waren auch Hühner in der Notunterkunft. Die ganze Stadt ist voller Geschichten.

Das Hochwasser und seine Folgen werden unsere Zeitung noch lange begleiten. Wir berichten, auch nachdem zum Glück keine Menschen mehr in den Fluten vermisst werden und keine Hausbesitzer mehr vor Kameras in Tränen ausbrechen. Wenn der Bundeskanzler und der Verteidigungsminister das Katastrophengebiet wieder verlassen haben und die Stadt stinkend unter einem Film aus Schmutz und Öl zurückbleibt. Dann, wenn die Teppiche der Kirche zum Trocknen auf den Straßen liegen und die Menschen noch ein bisschen freundlicher grüßen als sonst. „Ach, bist du auch schon wieder unterwegs?“ „Was macht dein Keller?“ Meine Pumpen laufen noch, kann ich da sagen. Nach dem Wasser und dem Schmutz werden andere Fragen kommen, doch sicher ist: Die Katastrophe schweißt zusammen, die Menschen und ihre Zeitung.

8 Kommentare

  1. Danke für diesen interessanten Bericht mit den Einblicken in die Arbeitsweise und was da sonst noch für Herausforderungen zu meistern sind.

    So bitter die Lage ist, kann man nur hoffen, dass die Menschen in der Situation zu schätzen gelernt habe, dass es überhaupt noch Lokaljournalismus gibt und es künftig leicht bergauf geht.

  2. Danke für diesen eindrucksvollen und gut geschriebenen Bericht. Als langjährige Lokalredakeurin kann ich die Situation, den Stress, aber auch das Adrenalin, das einen aufrecht hält, gut nachvollziehen. Das kennen wir alle aus dramatischen, aber längst nicht so dramatischen Situationen. Im trockenen Norden sitzend, habe ich mir während der Hochwasserberichterstattung immer wieder Gedanken darüber gemacht, wie es meine Lokalkollegen angesichts der Lage schaffen, darüber zu berichten, ohne selbst abzusaufen. Der Bericht zeigt zudem sehr schön, wie wichtig das Lokalmedium bei solchen Lagen ist und was es für die Leser leisten kann.

  3. Grossartig.

    Und ganz schön: „So schnell überschlagen sich die Ereignisse im Laufe des Samstags und auch des Sonntags, dass es ein Einzelner kaum bewältigen könnte. Geschweige denn gut.“

  4. Liebe Frau Ammer,
    ich habe Ihren Beitrag für den Journalistenpreis MedienSpiegel vorgeschlagen. Die Vereinigung der MedienOmbudsleute und die Intitiative Tageszeitungen zeichnen damit transparenten und selbstreflexiven Journalismus aus. Und Sie haben nun ein treffliches Beispiel dafür geliefert. Sie geben den Blick frei auf lokaljournalistische Arbeit unter Katastrophenbedingungen von denen Sie selbst betroffen sind. Ich habe freilich eine Nachfrage: Ist dieser Beitrag so auch im Donaukurier erschienen? Diese zielgruppengerechte Veröffentlichung würde seinen Wert weiter steigern.
    Anton Sahlender, Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

  5. Lieber Herr Sahlender,
    vielen Dank, das freut mich wirklich sehr!
    Nein, der Beitrag ist nicht im Donaukurier erschienen. Ich glaube, die Menschen, die zum Teil im Hochwasser ihr ganzes Hab und Gut verloren haben, interessiert gerade anderes in ihrer Zeitung als die Lokaljournalistin, die ihre Arbeit beschreibt. Im Lokalteil hätte ich mit dieser Geschichte auch das Gefühl, mich selbst zu sehr in den Vordergrund zu drängen im Hinblick auf all die Ehrenamtlichen von Feuerwehr, Rotem Kreuz, THW und vielen mehr, die nächtelang im Dauereinsatz waren und die noch viel mehr zu erzählen haben.
    Der Beitrag war genau für Übermedien gedacht und ich glaube, dass er so genau das richtige Publikum erreicht. Auch aus Schrobenhausen und dem Donaukurier-Gebiet, aber nicht nur.
    Viele Grüße,
    Isabel Ammer

  6. Hallo Frau Ammer,
    ein ganz, ganz toller Text, der irgendwie einen emotionalen Nerv trifft und schlicht überwältigt. Vielen Dank für das Nahbarmachen.

  7. Vielen, vielen Dank für diesen großartigen Text, der so nachfühlbar den Spagat zwischen Verantwortung für den Job und die eigene Familie darstellt.

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