Schwiegertochter gesucht

Regeln gesucht

Nun gibt es also Regeln, ist das nicht schön? Vergangene Woche wurde es gemeldet. Eine der Überschriften lautete, zum Beispiel:

Neue Regeln für „Schwiegertochter gesucht“ vereinbart

Im Artikel dazu hieß es, die Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) habe mit RTL „eine Reihe von Vorgaben zur Auswahl und Präsentation der Bewerber“ vereinbart. Das ist natürlich interessant, zumal ja erst vor zwei Monaten darüber diskutiert wurde, wie RTL mit den Menschen umgeht, die sich bei „Schwiegertochter gesucht“ bewerben, sie auswählt und im Fernsehen anschließend vorführt.

Anlass war damals eine Ausgabe der ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“, die RTL zwei falsche „Schwiegertochter“-Bewerber untergejubelt hatte: Der eine spielte den debil wirkenden Vater, der sich gerne mit Bier beschäftigt; der andere den noch debiler wirkenden Sohn, der Schildkröten lieb hat. Zwei richtig tolle Deppen also, die das Casting-Team sofort unter Vertrag nahm und ihre Deppenhaftigkeit aufbauschte – Alkohol hin, debil her. Bis alles aufflog.

Und nun gibt es also diese Regeln, die verhindern sollen, „dass Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen in die Sendung kommen“, wie es heißt. Das Dumme ist nur: Niemand soll erfahren, was das für Regeln sind und wie sie lauten. Jedenfalls wollte das der Direktor der NLM, Andreas Fischer, nicht sagen, als er danach gefragt wurde. Auch das stand so in den Artikeln.

Die NLM, das muss man vielleicht erklären, sitzt in Hannover. Von dort aus soll sie über das Programm des Senders RTL wachen, der in Köln sitzt. Es gibt auch Aufseher in der Nähe, die Landesanstalt für Medien (LfM) in Düsseldorf, aber die ist unter anderem für Vox und Super RTL zuständig, nicht jedoch für das große RTL. Das muss man nicht verstehen. So funktioniert die Aufsicht für Privatsender in Deutschland eben.

Und oft funktioniert sie nicht, wie in diesem Fall.

Als das „Neo Magazin“ seinen Scoop enthüllte, haben sie bei der NLM ein „Vorprüfungsverfahren“ eingeleitet. So heißt das, wenn sie dort aufwachen. Rausgekommen ist dabei – nix. Ach, doch: Rausgekommen ist, dass die NLM kein „offizielles Prüfverfahren“ einleitet, weil sie meint, bei dem Format gebe es nichts zu beanstanden. Ach, doch: In den „Sendungen der letzten Jahre“ sei die NLM auf „einen Kandidaten“ gestoßen, „den wir nicht für geeignet für die Sendung halten“, so Fischer. Aber, pfff – ein Kandidat. Kein Prüfverfahren.

Stattdessen lud die NLM den Sender RTL und die Produktionsfirma Warner Bros. ITVP zum Kaffee ein. Mal reden. Für RTL fuhr Tobias Schmid von Köln nach Hannover, was (auch) lustig ist: Schmid ist bei RTL für Medienpolitik zuständig, außerdem sitzt er dem Privatfunk-Verband VPRT vor, derzeit jedenfalls noch. Im Herbst wird der Chef-Lobbyist des Privatfunks dessen Chef-Aufseher, bei der Düsseldorfer Medienanstalt, der LfM. Bald sind NLM-Chef Fischer und Schmid also Kollegen. Den Kaffee mit Milch?

Über die Regeln, die bei diesem Gespräch festgelegt worden sein sollen, mag NLM-Chef Fischer auch auf Nachfrage nicht so gerne reden. „Es gibt eben Dinge, die man nicht nennen sollte“, sagt er. Bewerber könnten sich durch die „Maßnahmen“, die man vereinbart habe, „diskriminiert fühlen“, würde man sie veröffentlichen. Was eine merkwürdige Begründung ist: Das würde ja bedeuten, dass die Bewerber erfahren, weshalb sie nicht in die Sendung kommen. Als würde RTL ihnen sagen: Sorry, Dödel-Dirk, aber du bist jetzt leider wegen Ziffer 5 – zu niedriger IQ – nicht mit dabei, tut uns leid.

"Schwiegertochter gesucht" Titel
Screenshot: RTL

Viel wahrscheinlicher ist, dass es gar keine konkreten „Regeln“ gibt. Bei RTL will man davon auf Nachfrage auch nichts wissen, sondern spricht von einem „sachlichen und umfassenden Gespräch mit der Landesmedienanstalt“ und dass es nun „vor allem um mehr Fingerspitzengefühl und mehr Sensibilität bei der Kandidatenauswahl“ gehe. Was alles so wirken lässt, als habe die NLM bloß mal ernst geguckt beim Kaffee, und im Rausgehen haben dann alle gesagt: Jau, so machen wir’s mal. RTL beteuert nun auch, man wolle den Vorgaben („Sensibilität und Fingerspitzengefühl“) künftig Rechnung tragen.

Klingt nett, ist aber alles unbefriedigend.

Zunächst die NLM. Sie schaut sich angeblich „die letzten Jahre“ der Sendung an und kann dort nichts feststellen? Komisch. Zumal Fischer auch gesagt hat, dass man neben dem einen Kandidat, den man nicht für geeignet hält, auch Kandidaten gefunden habe, „die mit der Situation überfordert waren und rhetorisch große Schwächen haben“. Dass RTL solche Menschen vor einem Millionenpublikum ausstellt und inszeniert, ist demnach in Ordnung.

Dann ist von Regeln die Rede, über die aber niemand sprechen mag, weil es sie nicht gibt. Fischer sagt, die NLM sei mit dem Gespräch schon über ihre Aufgabe, das Programm zu überwachen, hinausgegangen. Was während einer Produktion (unter Umständen rechtswidrig) geschehe, sei nicht ihre Sache. Auch das ist unbefriedigend, weil es bedeutet, dass man bei Produktionen so viele Missstände aufdecken kann, wie man will – es führt innerhalb der Medienaufsicht zu nichts, höchstens zu ein paar frommen Worten.

Außerdem würde man dem Versprechen von RTL und Warner, sich zu bessern, gerne Glauben schenken, aber selbst das ist schwierig. Erinnern wir uns kurz an die Pressemitteilung, die sie damals schrieben, als Reaktion auf den Fake, und darin alles, was enthüllt wurde, zum bedauerlichen Einzelfall verklärten. Wieso will man sich dann eigentlich künftig an „Regeln“ halten, wenn’s nur ein Ausrutscher war und sonst immer alles bestens läuft?

Selbst wenn sie nun mit Gefühl Kandidaten auswählen – was geschieht anschließend? Sogar NLM-Chef Fischer räumt ein, dass Kandidaten „natürlich immer noch durch die Art der Präsentation lächerlich gemacht werden“ könnten. Womit wir dann wieder bei einem zentralen Problem von „Schwiegertochter gesucht“ wären: Dass dort seit Jahren Menschen der Lächerlichkeit preisgegeben werden, auch solche, die geistig behindert scheinen und heillos überfordert sind.

4 Kommentare

  1. Grundsätzlich gehört die Medienaufsicht bei uns in Deutschland gründlich reformiert. Das gilt für die Private wie für die ÖR Aufsicht. Leider wird nichts passieren da die Provinzfürsten ihre Macht und Einfluss nicht hergeben wollen.

  2. Operational global
    Im dreizehnten TV-Kanal

    Hinterfragen kluge Leute
    Das Problem von Hier und Heute

    Nichts verstehen macht keinen Spaß
    Da greifst Du zum vollen Glas

    Denkst Dir: Na, dann Prost – Zum Wohl!
    Die Hälfte Wein, der Rest Glykol,kol,kol,kol,…

    ——-

    Die Einführung des Privatfernsehens in Deutschland war 1984, der Glykolwein-Skandal war 1985, Peter Rubin texte das Lied im Stil der Neuen Deutschen Welle für die deutsche Vorentscheidung zum European Song Context 1986.

    Und er beschreibt sehr gut, was man in den 80ern von den privaten Fernsehsendern erwartete: Kanäle mit abgehobenen Diskussionen, denen der Bürger teilweise nur schwer folgen kann, die ihn aber politisch bilden und weiterbringen sollen.

    Es war die Vorstellung, eine Art „Der Internationale Frühschoppen“ mit Werner Hofer würde nun rund um die Uhr auf ganz vielen Kanälen stattfinden. Immerhin war das damals eine Art Ritual: Sonntags setze man sich zusammen und sah den Gästen von Werner Hofer beim Diskutieren zu – und dabei wurde auch kräftig Wein getrunken.

    Die damalige Inhalte der drei Fernsehprogramme (die dritten Programme waren damals ja fast ausschließlich mit Bildungs- und Diskussionssendungen gefüllt) extrapolierte auf die ganz vielen zukünftigen Privatsender und kam zu dem Schluß, daß der Bürger zukünftig überall permanent durch politische Debatten gebildet würde.

    Daß das Privatfernsehen aus jeder Menge Trash bestehen würde, und vor allem, daß es dieser Trash sein würde, der massig Zuschauer anzieht, das hatte damals noch kaum jemand auf dem Radar.

  3. Ach so, das Millionenspiel. Ja, das ist ein toller Klassiker. Man muß sich vor Augen führen, daß dieses Fernsehspiel vor der Zeit gedreht wurde, als Dieter Hallervorden mit Blödeleien bekannt wurde und Dieter-Thomas-Heck mit der ZDF-Hitparade.

    Es gab so einige tolle Fernsehspiele in den 70ern und 80ern. Ich erinnere mich an den Fernsehfilm „Smog“ oder den Zweiteiler „Welt am Draht“, der rund 20 Jahre später von den Amis mit Armin Müller-Stahl als „The 13th floor“ noch mal aufgegriffen wurde und der bereits viele Elemente der späteren „Matrix“-Filme enthielt.

    Es gab so einige interessante Zukunftsvisionen in den 80ern, manche sehr pessimistisch (wie etwa „Die Hamburger Krankheit“), manche sehr futuristisch, einige auch eher unlogisch und entsprechend unrealistisch.

    Ich erinnere mich, in den 80ern auch bereits ein Fernsehspiel gesehen zu haben über eine Technik, die an das heutige Google Street-View erinnert, allerdings mit seltsamen Konsequenzen. Da ging es darum, daß eine Film Landschaftaufnahmen eines Areals in einen Rechner eingespeist hatte und man sich mit einem Joystick durch diese Landschaft bewegen konnte, so als wäre man vor Ort. Nun passiere es, daß zufällig gerade ein Spaziergänger dort langging, während sich jemand vor dem Rechner die Gegend anschaute. In dem Moment, in dem die Augen des Spaziergänger gerade genau dasselbe Blickfeld hatten wie der Mann am Rechner, wurde beides miteinander verbunden, d.h. der Spaziergänger wurde jetzt vom Joystick gesteuert, erhob sich z.B. plötzlich in die Luft. Der Mann am Rechner hat davon nichts gemerkt, und der Spaziergänger hatte keine Ahnung, was gerade mit ihm passiert und was er dagegen tun sollte. Ich habe allerdings keine Ahnung, wie das weiterging, und ich kann mich weder an den Titel der Sendung und an das Sendedatum erinnern (ich vermute es in den Mitte der 80er im Dritten Programm des WDR). Vielleicht weiß jemand anders mehr? Es würde mich wirklich interessieren, diesen Beitrag noch mal in ganzer Länge zu sehen.

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