Gruner+Jahr

Zeitschrift „Eltern“ ist nun ein Kaufmannsladen

Käme der Besitzer eines Sterne-Restaurants auf die Idee, nach dem Abgang des Kochs den Geschäftsführer an den Herd zu stellen, würde man denken: Der Kerl hat einen Vogel! Nun ist Stephan Schäfer aber nicht Besitzer eines Sterne-Restaurants, sondern Vorstand des Verlags Gruner+Jahr. Doch seit Journalismus dort unter dem Begriff „Was mit Medien“ subsumiert wird, ist der Schritt, Betriebswirtschaftlern die Hoheit über die Inhalte von Journalisten zu übertragen, gar nicht so absurd.

Entsprechend hat Schäfer kürzlich Bernd Hellermann, 37, zum „Editorial Director Community of Interest Family“ ernannt. Er ist somit für alle Inhalte der Marke „Eltern“ sowie der Internetseiten Urbia.de und Vorname.com verantwortlich. Die Zeitschrift „Eltern“, rund um Schwangerschaft und Erziehungsfragen, ist 1966 erstmals erschienen und mit dem Nimbus Gruner+Jahrs ähnlich verknüpft wie „Stern“ oder „Brigitte“. Rund 184.000 „Eltern“-Exemplare werden monatlich noch verkauft; zur Marke gehören auch „Eltern Family“, „Eltern Wissen“ und das Online-Angebot.

Neugeborenes Baby auf der neugeborenen Zeitschrift "Eltern" von 1966
Neugeboren: „Eltern“, 1966 G+J

Um das Eltern-Segment noch stärker zu dominieren, hat Gruner+Jahr 2011 die Onlineplattform „Urbia“ und 2016 „Vorname.com“ erworben. Besonders an „Urbia“ ist, dass die Werbekunden, etwa Pampers und Nestlé, dort „Partner“ genannt werden. „Vorname.com“ hilft Eltern bei der Namensfindung für ihr Baby und bietet Artikel über Vornamen.

Seit Julia Jäkel den trantütigen Bernd Buchholz als Vorstandsvorsitzenden des Verlags abgelöst hat, der jetzt ausgerechnet als FDP-Minister für Wirtschaft und Arbeit in Schleswig-Holstein sein Glück versucht, ist Bewegung in den Verlag gekommen. Journalismus wird sichtlich nicht gestärkt, es geht vielmehr darum, den Verlag zu einem Warenhaus umzubauen, um die vorhanden Publikationen und Onlineportale nun als Plattform für all das zu nutzen, womit sich Geld verdienen lässt: Produkte und Dienstleistungen.

Während Jäkel auf Branchentagungen für das Gute, also gegen die politische und wirtschaftliche Macht von Google und Facebook kämpft, krempelt Stephan Schäfer als „Chief Product Officer“ die Ärmel hoch und die Gewohnheiten und Strukturen im Hause um. Waren zwar auch bei Gruner+Jahr schon Chefredakteure verantwortliche Geschäftsführer (zum Beispiel Anne Volk bei „Brigitte“, Werner Funk bei „Stern“ und Angelika Jahr bei „Schöner Wohnen“), ist es nun ein neuer Schritt, einen Wirtschaftsmann die Hoheit über journalistische Inhalte und ihre Qualität zu übertragen.

Hellermann ist ein Kaufmann. Er hat an der an der privaten Wirtschaftsuniversität Vallendar bei Koblenz studiert. Journalisten kennen ihn kaum. „Er scheint sich außerhalb meiner Sphären zu bewegen“, heißt es, wenn man Gruner+Jahr-Redakteure zu ihm befragt. Auch unter seinen Kontakten bei Facebook sind kaum Journalistinnen und Journalisten.

Nach seinem Wirtschaftsstudium kam Bernd Hellermann als Assistent des Chief Financial Officer (CFO) zu Gruner+Jahr. Dann wurde er Finanzchef, leitete ein Diätportal von Krankenkassen und der Pharmazie, das auch von Gruner+Jahr übernommen wurde, und wechselte 2013 als Managing Director in die G+J Parenting Media.

Vier Personen stehen nebeneinander (v.l.n.r.): jüngerer Mann mit blonden kurzen Haaren und Brille, weißes Poloshirt mit umgehängtem Pullover; dann ältere Frau mit weißen halblangen Haaren und hellblauer Bluse; dann jüngere Frau mit zusammengebundenen braunen Haaren, Brille und weißer Bluse; dann jüngerer Mann mit dezenter Brille und dunklem Poloshirt.
Das neue Führungsteam der G+J-Familienredaktion (v.l.): Heger, Wetscher, Klingspor, Hellermann Foto: G+J/Axel Kirchhof

Hellermann versteht es, Produkte zu entwickeln, die den Interessen der Industrie entsprechen. Journalistische Erfahrungen hat er nicht. Stephan Schäfer hat ihm deshalb zwei Frauen an die Seite gestellt: Rosa Wetscher, 62, die bislang stellvertretende Chefredakteurin bei „Eltern“ war; und Franziska Klingspor, 32, die noch in der Babypause ist. Gemeinsam dürfen sie sich „Leiterinnen der G+J Familienredaktion“ nennen.

Klingspor hat ebenfalls Betriebswirtschaft studiert. Sie kommt aus der Nachbarredaktion „Schöner Wohnen“, wo sie als „Head of Editorial Commerce“ das Zusammenspiel von Magazin und Onlineshop verantwortete und auch gern persönlich Kaufempfehlungen für Produkte aus dem Schöner-Wohnen-Shop aussprach. Außerdem im Hellermann-Team: Thorsten Heger, der als „Digital Business Director der Community of Interest Family“ das Digitalgeschäft verantworten wird. Auch er war bei Gruner Assistent der Geschäftsleitung und hat unter anderem im Lizenzmarketing gearbeitet.

Titelseite der Zeitschrift "Eltern" mit einm Foto einer Mutter, die ihr Baby auf dem Arm hält.
„Eltern“, 10/2017

Die Qualifikation eines Chefredakteurs, die in der Regel auf Ausbildung und jahrelange Erfahrung und inhaltliche Auseinandersetzungen beruht, wird ersetzt durch die Fähigkeit, Geschäftsfelder und Kooperationen zu erschließen. Das ist nicht nur ein Schlag in das Gesicht all jener, die sich den Ansprüchen dieses Berufs verpflichtet fühlen, es zeigt auch deutlich, welchen Stellenwert Journalisten im Hause Gruner+Jahr noch haben und was der Verlag von seinen Leserinnen und Lesern hält – wenig.

Offenbar kann man sie abspeisen mit dem, was nach dem Einzug der Wirtschaftsheinis in die Redaktionen vom Journalismus übrig bleibt. Stephan Schäfer geht es darum, wie es in einer Pressemitteilung heißt, „unsere Spitzenposition im Eltern-Journalismus in Deutschland ausbauen“. „Ausbauen“ ist heute ein Synonym für „vergolden“, folglich benennt Bernd Hellermann, der Verantwortliche für den Journalismus, die Aufgabe seines Führungsteams so: „Unser gemeinsames Ziel ist es, unternehmerisches Denken zu fördern und durch schnelle Entscheidungswege an Geschwindigkeit zu gewinnen.“

Marie-Luise Lewicki war 22 Jahre lang Chefredakteurin von „Eltern“. Der Auf- und Ausbau der Marke gilt als ihr Lebenswerk. Ihr Renommee ist glänzend; sie soll ihr Blatt auch vor zu viel Einflussnahme durch Anzeigenkunden verteidigt haben. Ihr Ausscheiden kam für langjährige Autorinnen des Heftes überraschend und wird von ihnen bedauert .Angeblich soll sie auch gegangen sein, weil sie den Umbau ihres Zeitschriftenkindes zur Verkaufsplattform nicht mittragen wollte. Wie häufig, wenn Differenzen nicht sichtbar werden sollen oder der Name für die Glaubwürdigkeit im Zuge eines Wandels gebraucht wird, bleibt sie „Eltern“ als Herausgeberin erhalten.

Doppelseite aus "Eltern": Links Text, rechts ein kleines Haus, das an vielen bunten Luftballons hängt, dazu die Zeile: "Wer zu viel Zeug hat, macht sich oft das Leben schwer. Mit weniger geht's leichter."
Besser weniger: Ausmisten mit „Eltern“ Ausriss: „Eltern“

Das Oktober-Heft war das letzte, das von Lewicki verantwortet wurde. Den Schwerpunkt der Ausgabe kann man wie eine Kommentierung des Kommenden lesen. Es geht um das Weniger, also: weniger Spielzeug, weniger Klamotten, weniger Babykurse. Die Eltern werden aufgefordert, Konsum zu hinterfragen und auszumisten. Das ist nichts anders ist als der Gegenpol zur Schäferschen Strategie, Eltern als Konsumenten für den Verlag nutzbar zu machen. Bernd Hellermann, der sich im November-Heft als „der Neue“ und als Leiter der Redaktion vorstellt, soll folgerichtig auch von „Kunden“ sprechen, wenn er von Leserinnen und Lesern redet.


Es wäre interessant zu erfahren, ob Stephan Schäfer vorhat, auch andernorts die journalistischen Chefredakteure durch Betriebswirtschaftler zu ersetzen. Und ob er die Gefahr eines Imageschadens für den Verlag sieht. Es wäre ebenso interessant zu erfahren, ob Lewicki ihre Position als Herausgeberin auch als Wächterposition versteht. Und wie Bernd Hellermann die Inhalte für „Eltern“ generiert. Ob ein Thema wie „Verzicht“ in Zukunft noch möglich sein wird. Und ob es stimmt, dass er fragen musste, was ein Vorspann ist. Und auch, wie weit der Einfluss der Anzeigenkunden gehen darf.

Denn bereits unter Lewicki gab es Reportagen im Blatt, bei denen etwa die Fotos nicht von Fotojournalisten im Auftrag von „Eltern“ erstellt, sondern vom Anzeigenkunden geliefert wurden, im Fall der Oktober-Ausgabe von Pampers. Es wäre also auch eine interessante Frage, wo die Abgrenzung zum Anzeigenkunden und gegenüber den eigenen Shop-Plattformen für Hellermann verläuft. Und auch, ob es nicht anmaßend ist, für etwas die Verantwortung zu übernehmen, das man nicht beurteilen kann.

Wie gesagt: Das alles wäre interessant, und es ist sowieso eine Grundregel des Journalismus, dem, dem man Vorwürfe macht, die Gelegenheit zu geben, seine Sicht darzulegen. Aber weder Stephan Schäfer noch Marie-Luise Lewicki noch Bernd Hellermann standen für ein Gespräch zur Verfügung.

6 Kommentare

  1. Wie schön, dass mal wieder die Rolle der BWLer beim Wandel resp. Untergang der Verlage beleuchtet wird. Wäre eigentlich mal eine eigene wissenschaftliche oder – horribile dictu! – journalistische Arbeit wert.
    Erschreckend aber, dass WHU-Absolventen jetzt nicht nur (meist fremdes) Geld bei Läden wie Rocket Internet oder im Investment Banking verbrennen dürfen, sondern nun auch in Verlagen. Das kann ja heiter werden, denn: Wo einer von denen ist, kommen meist auch weitere. Das Netzwerk wird in Vallendar angelegt und gepflegt.

  2. Diese BWLer aber auch immer, dann auch noch an der Spitze von Wirtschaftsunternehmen, komplett absurd.

  3. @ Jürgen Kühner:

    Es geht nicht um BWLer an der Spitze von Wirtschaftsunternehmen, sondern als redaktionelle Entscheider. Dank Julia Jäkel wird der Tanker G+J irgendwann mal auf Grund laufen. Gier frisst Hirn. Warum sollten die Leser noch für teures Geld eine Zeitschrift kaufen, wenn die inhaltliche Qualität einer Werbepostille gleicht?

    PS: Freut mich, dass ich hier etwas von Silke Burmester lesen kann. Top-Autorin.

  4. Hellermann ist nun als unter anderem (er führt ja noch drei weitere kleine Business Units) Geschäftsführer für alle Familientitel. Seine redaktionelle im Daily Business ist also überschaubar. Wo genau das Problem liegt, erkenne ich nicht, zumal er noch drei Adjutanten an seiner Seite hat.
    In der Vergangenheit mögen auch in anderen Verlagen die Journalisten an der Spitze der Verlage oder einzelner Titel gestanden haben und stehen.
    Die waren ja auch alle super erfolgreich, ist ja nicht so, dass Verlage Probleme mit der Auflage hätten…oh, wait.
    Bzgl. der Vermischung von Anzeigen und redaktionellem Inhalt: Der hat ja wohl schon unter Lewicki stattgefunden.

  5. @ Jürgen Kühner:

    »Die [Verlage] waren ja auch alle super erfolgreich, ist ja nicht so, dass Verlage Probleme mit der Auflage hätten…oh, wait.«

    Wobei die eigentliche Frage ja nicht ist, ob Verlage durch Änderung ihres Geschäftsmodells mehr Geld verdienen können, sondern wo der Journalismus als ursprünglicher Kern des Geschäftes dabei bleibt.

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