Was trinken bei Schadenfreude?


Aufmacherbild der wieder offline genommenen Kolumne von Iven Sohmann bei Mixology

Täglich begegnen uns Marken in der Barkultur, monatlich sucht Kommunikationsdesigner Iven Sohmann das Gespräch. Was uns Leuchtreklamen, Produktverpackungen oder gar Getränkekarten zu erzählen haben, hinterfragt diese Kolumne. Aus aktuellem Anlass: Was trinken bei Schadenfreude?

„Ding-dong, the witch is dead!“, legte mir DJ Schläfenlappen unweigerlich auf, als mich letzte Woche die ersten Push-Nachrichten zur Entlassung des „Bild“-Chefredakteurs Julian Reichelt ereilten. Jubel, Trubel, Giftigkeit – Friede, Freude, Eiertreten! Für die Dauer einer ausgiebigen Becker-Faust vergaß ich meine gute Kinderstube und ergab mich der Häme und Niedertracht. Shame on me, mea culpa oder wie es in Österreich heißt: „Ich bin kein Roboter, sondern ein Mensch mit Fehlern, mit Emotionen.“ Dafür möchte ich mich in aller Form entschuldigen. Nicht.

Wenn nach Lügen-Laschet und Korrupti-Kurz binnen eines Monats der nächste machtmissbrauchende Mächtige Macht einbüßt, sollte 1. irgendwer Darth Vader warnen und 2. standesgemäß Schampus fließen! Insbesondere wenn Graf Koks von der Hassanstalt sich seinen Knüppel selbst in die Speichen rammt, vom Sattel fliegt und nun nicht mehr nach unten treten kann, meinen „standesgemäß“ und „Schampus“1)Hier stand im Originaltext „Korken“; der Autor hat sich diese Änderung gewünscht. freilich unfancy Späti-Biere. Und damit direkt hinein in die Situation, wie sie sich – so oder ähnlich – letzten Dienstag zutrug: Nur wenige Steinwürfe vom Axel-Springer-Haus entfernt, stehen meine Kollegin und ich vor dem Kühlregal eines hauptstadtüblichen Spätkaufs sowie vor der Frage: Reichelt raus, Bier rein, aber welches? Unsere charakterlich verdorbenen Blicke schweifen im Schadenfreudentaumel durch die Flaschenreihen.

Pest oder Cholera? Bit oder Krombacher?

„Sollen wir einfach ein spottbilliges (!) nehmen?“ Kein schlechter Ansatz. Im Dauerangebot wären das zum „Punkerbier“ verklärte Sternburg Export und das als „100 % ehrlich“ beworbene Oettinger Pils. Zwei Konterbiere gegen das konservativ bis rechtspopulistische Lügenblatt also, doch die dahinterstehenden Konzerne machen uns stutzig. „Dann lieber ein Pilsator?“ Die Diskrepanz zwischen dem erhaben formulierten Anspruch und dem tatsächlichen Niveau des Inhalts scheinen passend. Allerdings produziert das dazugehörige Frankfurter Brauhaus auch das Reichelt Pilsener, die Eigenmarke der einst gleichnamigen Berliner Supermarktkette. Den Untergang des großen Hassanovas mit einem quasi Verwandten begießen? Das scheint uns dann doch etwas zu perfide.

Wo wir schon bei Tieren sind: „Wie wär’s mit einem geilen Bockbier?“ Das Fleisch ist willig, aber der Gag ist schwach. Nicht zuletzt, weil bei Jauche-Jule natürlich nicht die Libido, sondern die damit verbundene Ausnutzung beruflicher Abhängigkeiten skandalisiert gehören. Dieser Bierstil fällt demnach genauso raus wie das tschechische Lager Kozel, dessen Etikett einen Ziegenbock mit aufbrausend-überschäumenden Humpen zeigt. Schade eigentlich. »Vielleicht ein Odin-Trunk Honigbier – erst schleimig, dann Würgereiz?« Die obligatorisch folgende Komposition aus Kotzgeräuschen beäugt der Späti-Verkäufer mit Argwohn. „Oder was betont charakterloses“? Okay, keep it simple – denkste! Die Konsensfindung darüber, ob unter diesem Gesichtspunkt nun Bitburger, Warsteiner oder Krombacher zu wählen wäre, muss am Ende vertagt werden.

Hasse Reichelt! Hasseröder?

Zurück zum Spott also: „Ein Export für den Ex-Chef?“ Nope. „Nehmen wir Helles, weil die dunkle Seite der „Bild“ endlich ans Licht kommt?“ Lol. „Ein Duff-Bier als Referenz an Nelson?“ Die Brücke zur dauerschadenfrohen, stets „Ha-Ha!„-skandierenden Figur von den „Simpsons“ zu schlagen, ist zwar durchaus verlockend, aber ein bisschen deeper darf’s schon sein. „Was würden Heinrich Böll, Günter Wallraff und Max Goldt denn trinken?“ Bölliner Pilsner, Wernesgünter oder ein Beck’s Goldt vielleicht? Wohl eher kaum. Wechseln wir besser die Perspektive und fragen uns, wem die Enthauptung der „Bild“-Zeitung alles zugute käme, würde der Kopf der Hetzhydra nicht doppelt nachwachsen. Da wären zum Beispiel Menschen mit internationaler Geschichte, deren Diskriminierung von der „Bild“ regelmäßig befeuert und gleichzeitig verleugnet wird. Darauf oder vielmehr dagegen ein Tyskie oder ein Efes?

Oder wir zeigen „Ein Herz für Kinder?“ Trotz der gleichnamigen, von Axel Springer gegründeten Hilfsorganisation schreckt die „Bild“ schließlich nicht davor zurück, die Privatnachrichten traumatisierter Schutzbefohlener zu veröffentlichen, ihre Gesichter unverpixelt abzubilden und ihr Leid für Auflage und Reichweite scham- und herzlos auszuschlachten. Einmal Logenplätze für die Hölle, bitte! Die vielen Verstöße gegen den Pressekodex im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen sind im System des entlassenen Ekel-Egomanen zwar frappierend, aber deshalb mit Berliner Kindl oder Büble Bier sein Ende hochleben lassen? Ihr Kinderlein saufet? Was macht der Jugendschutz eigentlich beruflich (frage für einen Kolumnisten)? Uns wäre dieser Beigeschmack jedenfalls zu bitter.

Bild der Frau: Auflage im Dauertief

„Und was ist mit dem naheliegendsten?“ Ja, natürlich: die Frauen*! Die Opfer des Pornobrillen-Popanz, […]2)Hier haben wir einen Halbsatz über Reichelt gestrichen, den wir für juristisch angreifbar halten. aber auch alle anderen, die täglich unter dem Patriarchat zu leiden haben, zu dessen hiesigen Speerspitzen die „Bild“-Zeitung zweifelsohne zu zählen ist.

Bezeichnenderweise sind Frauen*-Motive in Bierregalen jedoch so rar gesät als wären es Vorstandsetagen, insbesondere, wenn wir von Seite-3-Fantasien wie der Meerjungfrau bei Astra Kiezmische und ähnlichem absehen. Jede Wette: Nicht nur die Männer sind hier in der Überzahl, sondern auch zielgruppenferne Figuren wie Tiere und Kinder. Rothaus Tannenzäpfle bleibt zumindest in der Späti-Auswahl meist die einzige Option, aber sind wir ehrlich: das »Schwarzwaldmädel« auf dem Etikett trinkt die Biere in ihren Händen nicht selbst, sie serviert sie lediglich. Wem wohl?

„Ich hab’s!“ Die Hoffnung schon fast verloren, werden wir in einer etwas verborgenen Ecke des Kühlschranks endlich fündig und erblicken das Quartiermeister*in Original mit schelmisch grinsender Frontfrau. Auf Berlin-Kreuzberg ist Verlass. Das gemeinwohlbilanzierte Unternehmen engagiert sich unter anderem gegen Sexismus und patriarchale Strukturen und schreibt sich den Slogan „zum Wohle aller“ auf die Etiketten. Wie ließe sich auf den Niedergang von Tyrannosaurus Sex besser anstoßen? Eben! Diesen Moment der Schadenfreude sollten wir uns nicht nur erlauben, sondern ihn auch ordentlich auskosten. Die nächste Hexe – pardon – der nächste Hetzer kommt bestimmt.

Fußnoten

Fußnoten
1 Hier stand im Originaltext „Korken“; der Autor hat sich diese Änderung gewünscht.
2 Hier haben wir einen Halbsatz über Reichelt gestrichen, den wir für juristisch angreifbar halten.

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