Kinderschänder? Zigeuner? Morde im Homo-Milieu?
Im „dpa-Kompass“ hält die Deutsche Presse-Agentur ihre Sprachregelungen fest. Mitarbeiter der Agentur können hier auch Begründungen nachlesen, damit jeder einzelne Redakteur auf Nachfrage mit wenigen Klicks bestimmte Formulierungen erklären kann. Ein Teil der Datenbank ist auch für Medien, die dpa-Kunden sind, zugänglich. Der allgemeinen Öffentlichkeit gewährt dpa aber – anders als die amerikanischen Agenturen Associated Press und Reuters – üblicherweise keinen Einblick.
Wir durften allerdings ein paar Tage ein bisschen stöbern und dokumentieren beispielhaft einige interessante Einträge: Was die wichtigste deutsche Nachrichtenagentur schreibt, was nicht, und wie sie es begründet.
Zigeuner
Als Zigeuner wird eine wandernde oder ehemals wandernde ethnische Minderheit indischer Herkunft bezeichnet.
Sinti und Roma sind die wichtigsten Volksgruppen in Europa, jedoch sind keineswegs alle Zigeuner Sinti und Roma. Die Bezeichnung wird von den Betroffenen größtenteils als diskriminierend empfunden. Grundsätzlich erwähnt dpa die Zugehörigkeit zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nur dann, wenn es für das Verständnis eines Vorgangs wichtig erscheint, dies gilt insbesondere bei der Berichterstattung über Straftaten (Ziffer 12 Pressekodex). (…)
Wir bevorzugen bei dpa die Bezeichnung Sinti und Roma. Auch wenn andere Stämme wie die Lalleri und Manusch die Bezeichnung Zigeuner nicht ablehnen, nutzen wir diesen Begriff nur im historischen Kontext mit entsprechender Einordnung. (…)
Homosexualität
Bei der Berichterstattung über Homosexualität und/oder Homosexuelle sollte dpa darauf achten, (sprachliche) Klischees zu vermeiden, die Vorurteile transportieren oder diskriminierend/herabsetzend wirken können (siehe Beispiele unten).
Im normalen Sprachgebrauch üblich und nicht herabsetzend sind die Begriffe Schwule/schwul und Lesben/lesbisch – diese werden von Homosexuellen selbst genutzt, sind akzeptiert und sinnvoll, wenn man sofort das Geschlecht eines/einer Homosexuellen deutlich machen will.
Bei Wortkopplungen wie Homo-Ehe, Homo-Szene etc. sollten Journalisten darauf achten, ob es in manchen Kombinationen nicht zu flapsig wirkt.
Der Bund Lesbischer und Schwuler JournalistInnen (BLSJ) hat zum sprachlichen Umgang mit Homosexualität im Sommer 2013 die Broschüre „Schöner schreiben über Lesben und Schwule“ herausgebracht, in der neben einem Glossar mit Begriffen aus der Szenesprache – von „Asexualität“ bis „Tunte“ – auch Praxisbeispiele genannt werden. (…)
Allgemein ist bei der Berichterstattung über Kriminalität ohnehin in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Nennung der sexuellen Orientierung von Täter/Opfer für das Verständnis der Tat zwingend erorderlich. Nur dann sollten wir sie nennen – analog zur Nennung von Abstammung/Nationalität (siehe auch Pressekodex, Ziffer 12).
Rechtsextremismus
Als extremistisch werden die Bestrebungen bezeichnet, die gegen den Kernbestand unserer Verfassung – die freiheitliche demokratische Grundordnung – gerichtet sind. Über den Begriff des Extremismus besteht oft Unklarheit.
Zu Unrecht wird er häufig mit Radikalismus gleichgesetzt. So sind z.B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird; jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt.
Als rechtsextremistisch oder rechtsextrem bezeichnen wir eine Partei, wenn sie im Verfassungsschutzbericht als rechtsextremistisch bezeichnet wird. Funktionäre und Mitglieder solcher Parteien können wir als Rechtsextremisten bezeichnen.
Rechtsradikal beschreibt eine (radikale) Gesinnung, also noch keine rechtsextreme/rechtsextremistische verfassungswidrige Bestrebung. Der weniger weit reichende Begriff rechtspopulistisch bezeichnet Parteien oder Personen, die mit einfachen Thesen und Parolen rechtsaußen nach Stimmen oder Stimmungen suchen.
Down-Syndrom
Down-Syndrom ist eine angeborene komplexe Entwicklungsstörung. Sie ist darauf zurückzuführen, dass das Chromosom 21 dreifach statt zweifach vorhanden ist, daher der Fachname Trisomie 21.
dpa verwendet den Begriff Mongolismus nicht mehr, stattdessen den Namen Down-Syndrom.
Die Kinder leiden nicht am Down-Syndrom, sondern eher an der Reaktion darauf. Sie haben das Down-Syndrom.
Gipfel
Wir verwenden den Begriff Gipfel im Zusammenhang mit Konferenzen äußerst sparsam, also nicht bei Treffen von Managern oder Ministern (Alternative: Spitzentreffen).
Kalaschnikow
Eine AK-47 (Awtomat Kalaschnikowa 47), kurz „Kalaschnikow“ ist ein Sturmgewehr rpt Sturmgewehr, kein Maschinengewehr.
Aktivist
Es taucht zunehmend der Begriff Friedensaktivisten auf, obwohl diese Aktivisten keinesfalls als Mitglieder einer für den Frieden arbeitenden unabhängigen Organisation ausgewiesen sind. Der Begriff Terroraktivist muss vermieden werden, entweder gibt es Terrorverdächtige oder des Terrors Beschuldigte.
Kinderschänder
Der Terminus Kinderschänder sollte in dpa-Meldungen nicht mehr verwendet werden. Bei dem Begriff schwingt die unangemessene Bedeutung mit, dass das Kind durch die Tat entehrt wurde. Stattdessen alternative Formulierungen wählen (die je nach Tathergang unterschiedlich sein können).
Asylbewerber
Die dpa schreibt Asylbewerber rpt Asylbewerber, nicht Asylanten. Asylsuchende kann ebenfalls verwendet werden.
Landsmännin
Die weibliche Form von Landsmann ist Landsmännin rpt Landsmännin (nicht Landsfrau).
Offenbar
„Offenbar“ ist ein bei dpa weiterhin verpöntes Wort, vor allem in Leadsätzen (da nicht klar ist, ob wir mit offenbar angeblich, vermutlich oder offensichtlich meinen).
Mit diesem Wort darf niemals vertuscht werden, dass man sich seiner Sache und seiner Quelle nicht ganz sicher ist: „offenbar“ bedeutet nicht „angeblich“. Bei ordentlicher Quellenlage ist „offenbar“ meist entbehrlich. Falls „offensichtlich“ gemeint ist, kann das geschrieben werden, aber nur, wenn der Sachverhalt tatsächlich für die meisten Beteiligten leicht erkennbar ist.
Kids
Kids heißen bei dpa Kinder.
Ministerpräsident
Seit 2008 wird die Bezeichnung „Premierminister“ nur noch für Großbritannien, Frankreich, Kanada, Australien, Pakistan und Indien verwendet (Agenturabsprache). Für alle anderen Länder gilt Ministerpräsident.
Evakuieren
Evakuierung ist eine Entleerung.
Evakuiert werden nur Gebiete oder Gebäude, nicht aber Menschen. Menschen werden beispielsweise „in Sicherheit gebracht“.
Pegida
Die Pegida-Bewegung kann in den dpa-Diensten zum Beispiel umschrieben werden als „fremdenfeindlich“, „islamfeindlich“, „nationalistisch“.
Gehörlose
Bei dpa ist die Bezeichnung Gehörlose zu verwenden und nicht rpt nicht der Begriff Taubstumme oder das adjektiv taubstumm. Die Betroffenen sind in der Regel nicht stumm. Auch der Begriff taub wird als diskriminierend empfunden.
Sprachbilder
Bilder sind ein schönes Mittel, Vorgänge anschaulich zu schildern. Sprache droht ohne solche Bilder immer wieder, abstrakt und damit schwer verständlich zu werden. Journalisten sollten aber immer im Sprach-Bilde bleiben, und außerdem sollten die Bilder auch stimmen. Wenn eine Fluggesellschaft mit ihrem Umsatz zum Höhenflug ansetzt, ist das schön. Wenn ein ganzer Flughafen dank gestiegener Fluggastzahlen in einem Lead abhebt, wird die Schilderung unglaubwürdig. Zudem sind viele Bilder schief, antiquiert („in trockenen Tüchern“) oder abgegriffen („grünes Licht für…“).
Außerdem müssen Sprachbilder konsequent durchgehalten werden. Eine Pleitewelle kann anschwellen, abebben oder im Sande verlaufen, aber kaum gestoppt oder gar umgekehrt werden. Also Vorsicht: Das Verb muss zum Bild passen.
Maidan
Der zentrale Platz in Kiew wird bei dpa entweder nur Maidan genannt oder in der deutschen Übersetzung Unabhängigkeitsplatz. Der Begriff Maidan-Platz ist falsch, da in dem Wort Maidan der Platz schon enthalten ist.
Flugzeuge
Die dpa schreibt der Airbus, der Airbus A380.
In der Kurzform ist die Typenbezeichnung aber weiblich: die A380, die A380-800, ebenso wie
- die Me 109
- die Tu-204
- die B-52
- die Boeing 787
- die 787.
(…) Eine achtsitzige Cessna ist kein Sportflugzeug, sondern ein Geschäftsflugzeug. Auch eine noch kleinere Maschine ist kein Sportflugzeug, sondern ein Privatflugzeug.
Propeller- oder Turboprop-Maschinen sind beispielsweise zwei- oder viermotorig, Düsenflugzeuge zwei-, drei- oder vierstrahlig. Ein Düsenjet ist ein häufig wiederkehrender Pleonasmus (überflüssige Häufung sinngleicher Ausdrücke).
Mehr über die Sprachregelungen bei dpa und anderen deutschen Leitmedien steht hier.