Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Nach der ersten Fernsehdebatte der drei Kanzlerkandidaten haben führende Mitglieder der SPD Kritik an der Leistung von Olaf Scholz geübt. „Wenn man ehrlich ist, war der Laschet heute besser in Form“, sagte Präsidiumsmitglied Gisela Öbenklöben bei einer Pressekonferenz. Sie wolle bei der Bundestagswahl am 26. September trotzdem vermutlich Scholz wählen, es sei denn der Spitzenkandidat der CDU verbessere sich in den beiden kommenden Debatten noch weiter. In einer Präsidiumssitzung der CDU sah man das Abschneiden des eigenen Kandidaten hingegen kritischer: Laschet sei aber immerhin nicht so schlecht gewesen wie befürchtet, verlautbarte übereinstimmend aus Parteikreisen.
Ja, das wäre mal eine Meldung.
Komischerweise ist es aber das Gegenteil auch. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ macht heute mit einem Artikel auf, in dem einen ganzen Absatz lang referiert wird, dass wichtige Parteimenschen exakt das sagen, was von ihnen in dieser Situation erwartet wird. Wörtlich:
Nach dem ersten Fernseh-Triell der Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock (Grüne) und Laschet am Sonntagabend stellten die Parteien das Abschneiden ihrer Bewerber gleichermaßen als Erfolg dar. So bescheinigte der CSU-Vorsitzende Markus Söder dem in den Umfragen hinter Scholz und Baerbock liegenden Laschet einen starken Auftritt. „Das war aus meiner Sicht genau das, was wir uns erhofft hatten“, sagte Söder in München. Die SPD bezeichnete Scholz auf Twitter als Triell-Sieger: „Olaf hat erneut bewiesen: Er kann Kanzler! Er hat einen Plan für die Zukunft!“, hieß es. Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, würdigte unterdessen den „fulminanten“ und „souveränen“ Auftritt von Baerbock.
Wenn man sich also zum Beispiel als Twitter-Nutzer während und nach eines solchen Wahlkampf-Ereignisses fragt, für wen eigentlich die Parteileute diese ganzen Jubelstatements abgeben, lautet die Antwort: für Journalisten.
Für welches Publikum hingegen die entsprechend mit diesen Aussagen befüllten Artikel geschrieben sind, kann ich nicht sagen.
Die „Süddeutsche Zeitung“ überschreibt einen großen Nach-„Triell“-Artikel so:
Das „Er muss nun gefeiert werden“ ist einerseits eine Art Augenzwinkern der Journalisten an die Leser: Hey, wir wissen schon, dass hier nur alle tun, was alle tun müssen. Keinen Grund, das wirklich für eine Nachricht mit irgendeinem Neuigkeitswert zu halten. Wir haben’s aber trotzdem mal notiert. Denn es gilt ja auch: Es muss nun berichtet werden.
Und die Unterzeile liest sich fast so, als hätte der produzierende Redakteur die Hoffnung, irgendjemand ließe sich nun voller Spannung auf das Lesen des folgenden Artikels ein, um herauszufinden, wie genau die „ganz anderen“ Sichtweisen von SPD und Grüne auf das Abschneiden des konkurrierenden Kandidaten ausfielen.
Die der CDU referiert sie so:
Heute seien sich im Präsidium der Partei alle einig: „Starker Auftritt und eindeutiger Sieg“, sagt der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans. Das sei „ein Moment des Aufbruchs“, Laschet habe „brilliert“ und seine Konkurrenten „enttarnt“. CDU-Vize Volker Bouffier spricht in der Sitzung von einem „sehr ermutigenden Signal, das Schwung in den Wahlkampf bringt“, die Rückmeldungen von der Basis seien absolut positiv. Sogar die Kanzlerin, die sich in den vergangenen Wochen nicht durch offensives Werben für Laschet verausgabt hat, soll in der Präsidiumssitzung den Auftritt des CDU-Chefs gelobt haben.
Sogar die Kanzlerin!
Und wie fanden die Grünen die Grüne?
Annalena Baerbock, so verkündete Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, habe sich „intensiv vorbereitet“ und sei in der Sendung „on top“ gewesen.
Uuuuuh. Das klänge fast ein bisschen herablassend, „intensiv vorbereitet gewesen“, wenn man nicht sicher sein könnte, dass es in wirklich keiner Weise so gemeint gewesen sein kann.
Die „Welt“ machte heute auf der Titelseite mit der Zeile auf:
… was zufällig sicher auch genau die Überschrift war, die sich Söder mit diesem Statement erhofft hatte.
Die Nachrichtenagenturen hatten dafür am Montag den Stoff geliefert. „Führende CDU-Politiker stellen sich nach TV-Triell hinter Laschet“, meldete etwa dpa, ohne zu verraten, wo sie vorher standen. In einer späteren Meldung konnte die Agentur sogar berichten, was Spahn – nein, nicht zu Journalisten gesagt hat, sondern „nach Angaben von Teilnehmern in der Präsidiumssitzung der CDU in Berlin“. Nämlich:
Attacke und inhaltliche Aufladung, mit dieser Offensive hat Armin Laschet gestern Abend gepunktet. Das war richtig stark. Und das ist die richtige Mischung für die nächsten vier Wochen.
Die Brisanz der Dinge, die aus diesen internen Sitzungen inzwischen durchgestochen wird, ist ungeheuerlich.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Er hat unter anderem für „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und den „Spiegel“ über Medien berichtet.
Das ist schon absurdes Kino, wenn in den „internen“ Runden auch nur Quark palavert wird, weil man ohnehin weiß, dass es rausgestochen wird… Dass eine Bundestagsdebatte nur die Aufführung einer Debatte ist, die im Hintergrund in Ausschüssen ablief, hat ja eine gewisse Logik. Wenn das für Präsidiumssitzungen einer Partei mittlerweile auch gilt, wird es irgendwann dysfunktional.
Ich verstehe die Essenz des Artikels nicht.
Aber der Nachname Öbenklöben war es schon wert, geklickt zu haben.
(Sehr infantil von mir)
Endlich weiß ich, wo die Perücke von Oma Elfriede hingekommen ist, Reinhard Bütikofer hat sie gemopst!
Das war die zweite Fernsehdebatte der drei Kanzlerkandidaten. Die erste lief schon im Juni. In der ARD: https://www.tagesschau.de/inland/aussenpolitik-kanzlerkandiaten-muenchner-sicherheitskonferenz-fragerunde-101.html
@Peter Sievert (#1):
„Das ist schon absurdes Kino, wenn in den „internen“ Runden auch nur Quark palavert wird, weil man ohnehin weiß, dass es rausgestochen wird…“
Ach, das glaube ich nicht. Die werden sowas schon ernsthaft analysieren. Das angeblich gestochene Spahnzitat klingt viel zu gescripted, um wirklich gestochen zu sein. Soll halt authentischer wirken als eine offiziöse Vorstands-Verlautbarung.
Zweck solcher Politstatements (unabhängig von der Partei): Die Anhängerschaft in der Überzeugung bestärken, der eigene Kandidat sei der beste gewesen: „Ja, Leute, das war so. Ihr sitzt keineswegs einem confirmation bias auf. Also seid motiviert und geht an die Urne!“
Es war sogar schon die dritte. Die erste lief im Mai: https://www.youtube.com/watch?v=KRq4Fv7RlAk&list=PL7IBcFZuEDuX7t_4B7l8-0EPYQuSo0xi3&index=16&t=1393s
Danke für diesen Artikel. So konnte ich über diese schwachsinnigen Triell-Nachbesprechungs-Artikel zumindest im Nachhinein noch ein wenig schmunzeln.
PS zum Titel: Auch über das rote Fahrrad, das am Wochenende in China umgefallen ist, habe ich in den „Qualitäts“medien bisher nichts gefunden.
Dazu kommt dann die „Analyse“, dass die Kandidatys im Triell nichts Überraschendes gesagt oder getan haben, sondern das „Altbekannte“, also das Wahlprogramm erzählt haben. Auf ntv war ja sogar eine Kritik von Louisa Dellert, dass die im Triell nicht schon Kompromisse gesucht hätten.
Erst moniert man Langweiligen Wahlkampf ohne Inhalte… und dann moniert man das Fehlen überraschender Inhalte für diejenigen, die das Wahlprogramm kennen… und dann schreibt man nur diese durchgestochenen Lobeshymnen.
Der Hauptstadtjournalismus schreibt auch nur das Erwartbare.
die Eindrücke von #2 und #3 teile ich uneingeschränkt: das hat den Lesespaß ausgemacht.