Unseriöser Journalismus

„Nius“ und die erfundenen Zitate

Das Wutportal von Julian Reichelt zitiert Menschen mit Sätzen, die sie nie gesagt haben. Mehrere Fälle sind bisher bekannt. Die Fake-Zitate sind teilweise trotzdem weiter online. Nachfragen werden nicht beantwortet.
Blauer Hintergrund, auf dem „Achtung, Fake Nius“ steht, mit dem Logo der Seite „Nius“.

Julian Reichelts rechtes Wutportal „Nius“ ist nicht gerade bekannt dafür, seriösen Journalismus zu machen. Kürzlich erst verbreitete es zum Beispiel eine gefälschte dpa-Meldung, die dann ohne Hinweis wieder gelöscht wurde. Vor zwei Wochen aber fiel „Nius“ mit einem ganz anderen Kaliber journalistischen Versagens auf. Nachdem US-Präsident Donald Trump in seiner Rede vor dem Kongress aus einem Brief des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zitiert hatte, zitierte „Nius“ scheinbar ebenfalls daraus:

„Mr. Trump, ich bedaure zutiefst meine jüngsten Äußerungen und jegliche Missverständnisse, die sie verursacht haben könnten. Die Ukraine ist dankbar für die Unterstützung der Vereinigten Staaten und ihrer Führer, und ich entschuldige mich aufrichtig für jegliche Verärgerung. Wir bleiben einer starken und respektvollen Beziehung verpflichtet.“

Auch andere Medienhäuser zitierten Selenskyj – allerdings mit anderen Worten. Sie bezogen sich auf einen Post des ukrainischen Präsidenten, den er auf X geteilt hatte. Das Zitat, das „Nius“ Selenskyj zuordnete, kommt in dem X-Post nicht vor, auch nicht in Trumps Rede. Oder überhaupt irgendwo. Das Zitat hat es so nie gegeben.

Kurz nachdem der Journalist Anton Rainer darauf aufmerksam gemacht hatte, tauschte „Nius“ das falsche Zitat durch das korrekte aus und machte das immerhin transparent.

Offen bleibt aber die Frage, woher das falsche Zitat überhaupt erst kam. Ein falscher Name, eine falsche Zahl, das kann mal passieren. Aber ein Zitat zu veröffentlichen, das nie existiert hat, passiert nicht einfach. Was steckt also dahinter? Absicht, um Themen mit erfundenen Zitaten einen Spin zu verleihen? Oder hat eine KI halluziniert?

Zitate kopieren und ändern

Mit Künstlicher Intelligenz jedenfalls hat „Nius“ offenbar Erfahrung. Anfang Februar veröffentlichte das Portal einen Artikel über den Aktien-Investor Jan Beckers und seine Sicht auf den wirtschaftlichen Zustand Deutschlands. Ein Text dazu war zuvor schon recht ähnlich in der „Bild“-Zeitung erschienen, die mit Beckers gesprochen hatte. „Nius“ gibt das im Teaser auch an – um dann den „Bild“-Text mehr oder weniger zu kopieren.

Der Unterschied: Alle direkten Zitate von Beckers sind anders formuliert als im Original. Dabei müssen solche Zitate eigentlich präzise, also eins zu eins, wiedergegeben werden.

Doch aus

„Wir sind in der existentiellsten Wirtschaftskrise der gesamten Nachkriegszeit.“

wurde

„Wir befinden uns in der schwersten wirtschaftlichen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.“

Und aus

„Bei den Unternehmen herrscht ein Optimismus, wie wir ihn uns in Deutschland nicht vorstellen können. Amerikanische und internationale Geldgeber überbieten sich mit neuen Investitionszusagen.“

wurde

„Investoren überbieten sich gegenseitig mit neuen Zusagen. Ein Optimismus, wie wir ihn in Deutschland kaum kennen.“

Bei insgesamt sechs direkten Zitaten hat „Nius“ den Wortlaut verändert. Der Text erschien bemerkenswert schnell, nur 40 Minuten nach dem „Bild“-Artikel.

Zitate erfinden

Sich im journalistischen Alltag durch KI unterstützen zu lassen, ist nicht verboten. Problematisch wird es allerdings, wenn KI dazu eingesetzt wird, fremde Texte und Zitate umzuändern. Und richtig problematisch wird es, wenn Zitate so verändert werden, dass sie mit der ursprünglichen Aussage gar nichts mehr zu tun haben.

Oder, noch schlimmer: wenn sie einfach erfunden werden.

Wie im Fall von Lars Feld, dem Ökonom und ehemaligen Chefberater des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. Ende November 2024 veröffentlichte „Nius“ einen Artikel, in dem Feld „eindringlich“ vor höheren CO2-Preisen und den Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie warnt. Feld wird von „Nius“ dazu direkt zitiert:

„‚Die Gefahr besteht, dass Unternehmen gezwungen werden, Investitionen zurückzufahren, was auf lange Sicht Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit kosten könnte‘, so Feld.“

Eine noch höhere CO2-Abgabe würde deutsche Unternehmen demnach also extrem belasten. Das ist die These, die „Nius“ mit seinem Text und Felds Zitat unterstreicht.

Tatsächlich hat Feld anderen Medien aber ganz andere Zitate mit ganz anderen Inhalten gegeben. Im Interview mit dem „Focus“ sagte Feld zum Beispiel:

„Technologien, die wir kennen, werden sich dann eher durchsetzen, wenn die CO2-Preise steigen; aber auch solche, die wir heute noch nicht kennen.“

In einem anderen „Focus“-Interview sagte Feld:

„Wir brauchen höhere CO2-Preise als wir jetzt haben.“

Und bei Deutschlandfunk Nova sprach er sich ebenfalls für einen höheren CO2-Preis aus und prophezeite, dass dieser für deutsche Unternehmen sogar ein Anreiz wäre, mehr zu investieren. Statt ein Warner, ist Feld also ein Befürworter eines höheren CO2-Preises. Wie also kommt „Nius“ zu angeblichen Zitaten von Feld, die seinen sonstigen Äußerungen so stark widersprechen? Im Text erwähnt „Nius“ keine Quellen.

Gesamter Text auf falschen Zitaten aufgebaut

Im Februar schafft Lars Feld selbst Klarheit. Auf X schreibt er:

„Achtung Fake News: NIUS zitiert mich als Warner vor einer Erhöhung der CO2-Preise: […] Dabei habe ich NIUS kein Interview gegeben und setze mich für höhere CO2-Preise als effektives Instrument des Klimaschutzes ein.“


Das Zitat stammt also nicht von Lars Feld. Und die drei anderen, die „Nius“ ihm zuschreibt, stammen ebenfalls nicht von ihm. Der gesamte Text ist auf falschen Zitaten aufgebaut. Er beginnt mit den Worten:

„2025 wird die CO2-Steuer deutlich angehoben. Der Ökonom Lars Feld kritisiert, dass dies gravierende Konsequenzen für Unternehmen wie Bosch oder Volkswagen mit sich bringt.“

Bosch und Volkswagen, das ist ja schon ziemlich spezifisch. Sucht man danach auf Google, in Kombination mit dem Namen Lars Feld, gibt es mehrere Treffer. Einer davon ist „Nius“. Ein anderer ist der „Exxpress“, ein rechtes Boulevardmedium aus Österreich, an dem der Eigentümer von „Nius“ zu 75 Prozent beteiligt ist. Ein Partnermedium also, das einen Tag vor „Nius“ denselben Artikel über Lars Feld veröffentlicht hat. Welche der beiden Redaktionen für den Text verantwortlich ist, ist unklar.

Ein dritter Treffer ist ein Interview, das der „Focus“ mit dem Ökonom Lars Feld geführt hat. Veröffentlicht: einen Tag vor dem „Exxpress“. Darin sagt Feld aber nicht, dass Bosch und Volkswagen unter einer höheren CO2-Bepreisung leiden werden. Sondern unter den Folgen von zu hohen Arbeitskosten in Deutschland. Das eine ist der Preis, den Unternehmen für Brennstoffe wie Öl, Gas oder Benzin bezahlen müssen. Das andere sind die Kosten, die Unternehmen für ihre Arbeitnehmer anfallen, also Lohn und Gehälter und Sozialabgaben.

„Nius“ und „Exxpress“ werfen also zwei komplett verschiedene Sachen in einen Topf und vermischen sie gründlich. Und das nicht nur im ersten Absatz, sondern in jedem. Jedes Fake-Zitat, das „Nius“ Lars Feld zuschreibt, hat Ähnlichkeiten mit echten Zitaten Felds aus dem „Focus“-Interview. Nur wird es jedes Mal umgebaut und in einen falschen Zusammenhang gestellt. Es sieht sehr danach aus, dass hier eine KI am Werk war.

Das reinste KI-Geschwurbel

Noch ein Beispiel: „Nius“ schreibt, dass Feld mit steigenden CO2-Preisen ein zentrales Problem „in der möglichen Abwanderung deutscher Unternehmen ins Ausland“ sehe, weil es dort weniger strikte Umweltauflagen gebe. Das hat Feld tatsächlich auch so ähnlich in dem „Focus“-Interview gesagt. Allerdings hier wieder nicht bezogen auf CO2-Preise, sondern auf Arbeitskosten. In diesen falschen Kontext setzt „Nius“ dann noch ein zumindest inhaltlich richtiges Zitat von Feld, das wohl per KI-Zusammenfassung aus dem „Focus“-Interview generiert wurde.

Eine andere Stelle hingegen wirkt wie das reinste KI-Geschwurbel:

„Feld mahnt an, dass Deutschland von anderen Ländern lernen sollte, die erfolgreichere Ansätze verfolgen. Hierbei gelte es, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen und die Balance zwischen ökologischen und ökonomischen Interessen zu wahren.“

Laut dem ersten Satz ist Feld der Meinung, dass andere Länder sinnvollere Ideen haben, um Emissionen zu vermeiden. Stimmt aber nicht: Im „Focus“-Interview vergleicht Feld den Emissionshandel der USA mit dem der EU und kommt zu dem Schluss, dass beide gleich gut funktionieren. Anders als das System in China, „das noch nicht stark genug ist“. Wenn, dann müsste China also eher von der EU lernen und nicht andersherum.

Der zweite Satz ist eine klassische Nullaussage, die keinem Journalisten ein indirektes Zitat wert wäre. Oder gar ein direktes – am Ende des „Nius“-Textes „sagt“ Lars Feld genau das nämlich noch einmal, bloß diesmal in Anführungszeichen:

„‚Es bedarf einer differenzierten Herangehensweise, um die Ziele des Klimaschutzes mit einer starken, stabilen Wirtschaft in Einklang zu bringen‘, schließt Feld.“

Für den Ursprung dieser Worte gibt es nicht einmal im „Focus“-Interview einen Hinweis. Oder sonst irgendwo. Und obwohl Feld bereits öffentlich darauf hingewiesen hat, dass die Zitate nicht stimmen und er genau gegenteiliger Ansicht ist, steht der Text bei „Nius“ immer noch unverändert online.

Wir haben „Nius“ und den „Exxpress“ gefragt, woher sie die Zitate haben, warum im Artikel keine Quellenangabe steht und ob sie KI für ihre Texte nutzen. Eine Antwort haben wir nicht bekommen.

Klar ist also bloß: Bei „Nius“ werden Zitate einfach so verändert oder erfunden. Wie es halt gerade so passt. Dabei lassen sich „Nius“-Redakteure im dümmsten Fall von einer KI helfen, die ziemlichen Mist produziert. Der Redaktion ist das offensichtlich egal.

4 Kommentare

  1. Redaktionen sollten sich wirklich nicht auf Künstliche (Un-)Intelligenz verlassen. KI verfälscht manchmal nicht nur Zitate, sondern neigt auch dazu, falsche Annahmen von Anfragenden zu bestärken und sie weiterzuspinnen. Ich habe mal die KI-Version „ChatGPT-3.5“ getestet und sie zum frei erfundenen „Bremer Gänseliesel“ befragt. Statt meine Falscheingabe zu erkennen und zu korrigieren, halluzinierte die KI wild drauflos. Je nach Formulierung meiner Anfragen kam zum Beispiel heraus: Das Bremer Gänseliesel sei „ein Symbol für die Jugend und die Unschuld und wird oft mit der Tradition des Gänselieselsprungs während des Freimarkts in Verbindung gebracht“. Gänselieselsprung? Gut erfunden! Oder: „Die Statue stellt eine Gans dar, die auf dem Rücken eines Esels steht, der wiederum auf einem Hund steht, der auf einem Katzenkopf balanciert.“ Offenbar eine Anspielung auf die Bremer Stadtmusikanten, die aber keineswegs solche akrobatischen Leistungen vollbracht haben. Als Erschaffer der angeblichen Gänseliesel-Statue wurde einmal die „Bildhauerin Gerhard Marcks“ genannt (in Wirklichkeit war der eindeutig männliche Bildhauer Marcks der Erschaffer der Bremer Stadtmusikanten-Statue), ein anderes Mal erwähnte die KI einen nicht existenten „Heinrich Wiegand“. Und als ich die KI zu frei erfundenen Politiker-Namen befragte, lieferte sie prompt die angeblichen Lebensdaten und Amtszeiten: „Werner Bier lebte von 1890 bis 1959. Er war von 1945 bis 1946 Bürgermeister von Bremen.“ Erst bei meiner Anfrage zu den Lebensdaten von „Werner Bölkstoff“ erkannte die KI: „Der Name ‚Werner Bölkstoff‘ ist wahrscheinlich fiktiv und stammt aus der deutschen Comicreihe ‚Werner‘ von Rötger Feldmann, auch bekannt als Brösel.“

  2. „Anzeige is‘ raus“ wäre der einzige sinnvolle und richtige Kommentar zu solchem Quark. Dass sie jetzt auch noch Generative KI verwenden um schneller noch mehr böswillige Falschaussagen zu generieren ist dabei nicht entscheidend.

    Aber: Ist das wirklich justiziable? Wenn Medien mir in den Mund legen, dass ich genau das Gegenteil von dem gesagt hätte, was ich gesagt habe, dann sollte das keine Frage sein. Doch auf hoher See und vor Gericht, da ist ja bekannter Maßen alles möglich. Bei der Hamburger Pressekammer kann man solche Fälle verlieren.

  3. Spannende Recherche. Ich lese es immer gerne, wenn Nius kritisiert wird. Ich hoffe, dass das Medium an Einfluss verliert, befürchte aber das Gegenteil.

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