Hasswort (7)

schaurig

Woran denken Sie bei einem schaurigen Erlebnis? An eine gruselige Halloween-Dekoration, die Sie für einen Moment für eine Person hielten? An eine Geisterbahnfahrt, bei der Sie sich tatsächlich erschrocken haben? Einen der besseren Romane von Stephen King, oder vielleicht diese eine Geschichte, die Ihr Kind so gern zum Einschlafen hört, die Sie aber im Grunde viel zu gruselig für Kinder finden?

Der Duden führt für das Wort schaurig als Beispiel die Ergänzung „schaurig-schön“. Was uns einen leichten Schauer über den Rücken jagt, ist meist gerade noch angenehm. Es ist auf seine Art unterhaltsam, wir suchen seine Nähe. Es bringt uns nicht um den Schlaf; wir denken nicht tagelang darüber nach, oder sind in unseren Grundfesten erschüttert.

Auch Polizeibeamten bietet sich laut offizieller Pressemitteilungen immer wieder „ein schauriges Bild“ oder ein „schauriger Anblick“. Am 20. September etwa öffnete die Berliner Polizei die Wohnung von Gerwald Claus-Brunner. In ihrer offiziellen Meldung am nächsten Morgen schrieb sie:

Den Einsatzkräften bot sich in der Wohnung in der Schönhauser Straße ein schauriges Bild, sie entdeckten dort die Leichname von zwei Männern. Die Auffindesituation ließ ein Tötungsdelikt vermuten (…).

Jedes Medium, das über den Fall berichtete, übernahm diese Wortwahl.


Werfen wir anhand meines Lokalmediums, der „Leipziger Volkszeitung“ LVZ, einen Blick darauf, was Onlinezeitungen für gewöhnlich „schaurig“ finden.

In einem Gastkommentar findet Petra Bahr, dass Fernsehbilder von terroristischen Anschlägen wie jenem des 11. September 2001, aber auch der Angriffe in Paris, einen „schaurigen Schrecken“ auslösen. „Neugier und der eigene Ekel davor gehen eine schlimme Mischung ein“ schreibt sie. Einen Monat später lädt die LVZ zu einem „schaurig-schönen Spektakel“ im Zoo – der jährlichen Halloweenfeier, illustriert mit einem niedlichen, glotzäugigen Maki. Zwischen den beiden Meldungen wird zweifach über Claus-Brunner und das „schaurige Bild“ der Beamten berichtet, gleich darunter findet sich ein beworbener Roman in „schaurig-schöner ‚Downtown Abbey‘-Atmosphäre“.

Ein Theaterstück, ein Riesenrad, die „Dracula“-Aufführung an der Musikalischen Komödie, sogar ein Moor wird als schaurig bezeichnet. Mittendrin dann ein „schaurig verkleideter Mann“, der im Oktober vergangenen Jahres in Schweden mehrere Menschen mit einem Schwert tötet. Die Verbrechen fügen sich nahtlos in die Reihe der angenehmen Schauer ein.

Ein naher Verwandter von „schaurig“ ist „gruselig“. Er kommt unter anderem bei dem noch beliebteren „Gruselfund“ gern zum Einsatz (etwa wenn „Bild“ über eine Leiche im Regenfass in Essen berichtet, oder T-Online den Fall eines lebenden Babys, das zusammen in einem Koffer mit seinem toten Geschwisterkind gefunden wurde, aufbereitet).

Beide Wörter scheinen immer dann eingesetzt zu werden, wenn eine Situation für den Durchschnittsbürger nicht greifbar ist. Wenn die Szenerie sich so surreal darstellt, dass derjenige, der die Leichen findet, danach traumatisiert ist, greift das Fiktions-Narrativ. Der Mord, der vor dem Fund steht, wird damit zu Entertainment, wie das „Dracula“-Musical.

Wir haben gelernt, schaurige und gruselige Geschichten zu lieben. Kaum jemand kann sich dem Charme eines düsteren Hollywood-Blockbusters oder alter Geschichten von Edgar Allan Poe oder H.P. Lovecraft entziehen. Was uns einen Schauer über den Rücken jagt, unterhält uns gut.

Morde hingegen, ganz real, vor unserer Haustür geschehen, Morde an denen vielleicht Menschen beteiligt waren, die wir kannten, sind nicht unterhaltsam. Als vor einigen Tagen ein paar Spaziergänger eine Frauenleiche in einem Teich in Ilmenau fanden, dürften sie sich nicht gegruselt haben, wie die Leipziger „Bild“-Zeitung meinte, sondern schockiert gewesen sein. Ein schockierender Fund versetzt Menschen in eine Schockstarre, aus der sie mit Hilfe psychologischer Betreuung entkommen. Ein „gruseliger“ oder „schauriger“ Fund dagegen, wie die Halloweendeko, ist etwas, von dem man anderen gern erzählt. Weder reale Leichenfunde noch Terroranschläge sind „schaurig“.

 

5 Kommentare

  1. Ich muss bei „schaurig“ immer an Alfred Jodocus Kwak denken. Er ist auch mal traurig, so schaurig traurig…

  2. Synonyme zu schaurig sind, eines nannte der Autor selbst,
    abscheulich, katastrophal, schlimm, übel, stygisch (nie gehört), entsetzlich, furchtbar, grässlich, grauenvoll, gräulich, grausig, mies, schrecklich usw. usf.

    Welches ihm davon warum besser gefällt (bei Leichenfunden vielleicht „mies“?), hat er glücklicherweise nicht auch noch verraten.

    Mir passt bspw. schaurig dann ganz gut, wenn ich Morgen für Morgen den Radiomann bei RTL die zahlreichen Verkehrsstaus Berlins aufzählen höre (schaurig viele), die er, jeden Tag, zu „gut gefüllt“ euphemisiert und mir damit mein erstes Stück Lügen“presse“ des Tages serviert: Einfach nur schaurig!

  3. @ Stefan Niggemeier

    Hmm, sehr geehrter Herr Niggemeier, Sie haben wohl Recht, ich hatte die kaleidoskopische Mehrdimensionalität des Themas verkannt :-)

    „Ekelerregend, Würgereiz bereitend“ würde ich einen persönlichen frühmorgendlichen Leichenfund vor dem ersten Kaffee befinden, „abstossend“ nach der Zigarette danach, bis zum Mittagessen jedenfalls auch „deprimierend“, immer fände ich ihn „besorgniserregend“, je nach Opfer, Auffindesituation, Tötungsart pp.
    Durchweg auch Mitleid erregend, Empathie auslösend, Verlorenheit, Vergeblichkeit, eiseskalte, traurige Einsamkeit vermittelnd.
    In den Abendstunden würde der Fund mich „zu Tränen rühren“, wäre mir klar, auch dieses Bild niemals wieder aus dem Kopf zu bekommen.

    Anderntags würden Gedanken überhand gewinnen, soetwas meinem ärgsten Feind (wenn ich denn einen hätte) nicht zu wünschen, würde ich versuchen, mich in Täter, Opfer und Motiv einzufühlen, Trauer überfiele mich dabei.
    An diesem Begriff möchte ich vorerst festhalten, „traurig, tieftraurig“ anstelle von „schaurig“, auch von „schaurig-traurig“ @ Gernot und seinem Jodocus Kwak :-)

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