Bahnhofskiosk

Plattonische Liebe

Wenn Zeitschriftenmacher einen Trend entdecken, dann haben sie immer genau eine Idee: Dazu könnte man doch ein Magazin machen! Wir sind die Hämmer, für die alle Probleme aussehen wie Nägel. Wenn also die Verkäufe von Vinyl-Schallplatten nach langen Jahren, in denen die Technik überholt wirkte, wie verrückt klettern, dann darf es nicht verwundern, dass es ein Magazin dazu gibt: „Mint – Magazin für Vinyl-Kultur“. Und ich habe es am Kiosk schon doof gefunden.

mint_cover

Das Cover ist grau und hat die Zeichnung einer Platte drauf, die sich zur Hälfte irgendwie technisch geriert, mit der Headline „Zurück in die Zukunft“, weil es um neue Technologien zur Herstellung von Platten geht, und auf der Platte steht auch noch „Vinyl 2.0“. Ich lehne kategorisch alles ab, wo 2.0 draufsteht. Ich lehne eigentlich alles ab, wo Irgendwas-Punkt-Null draufsteht, aber 2.0 am dollsten. Ich glaube 4.3 könnte möglicherweise mein Interesse wecken, aber das schreibt ja nie einer. 2.0 ist jedenfalls in meinen Augen doof und oll.

Und ich war auch sehr skeptisch, ob dieses Trend-Entdecken sich tatsächlich so in ein Heft gießen lässt: Leute sammeln Platten, ja, aber wollen sie da nicht eigentlich lieber drüber reden, also online diskutieren, als darüber lesen, dass Platten toll sind? Das wissen sie doch schon, oder?

Dann kommt das Editorial und bereitet in umgedrehter homöopathischer Wirkweise den Leser auf den Inhalt vor: Nicht Gift in kleinen Dosen, das die Produktion von Antikörpern stimuliert, sondern eine solche Ladung dröger Text, dass danach alles andere schmerzfrei konsumiert werden kann (so haben übrigens griechische Gastronomen in Deutschland den griechischen Wein unmöglich gemacht: Wer garantiert nichts anderes mehr schmecken können will als überwürztes Fleisch, muss nur vor dem Essen einen Ouzo trinken. Für Nuancen ist die Zunge dann betäubt. Danke, Yannis!).

Ich persönlich halte es außerdem für brachial sinnlos, wenn das Editorial wie hier eine redundante Textversion des Inhaltsverzeichnisses ist, aber noch schlimmer ist es, wenn dann Sätze kommen wie: „Die Frage, ob Vinyl auch auf andere Weise hergestellt werden kann und wie es an sich um die Zukunft des Formats bestellt ist, thematisieren wir in unserer Titelstory.“

Abgesehen davon, dass das inhaltlich schon auf dem Cover steht, liest sich jeder Tagesausflugsplan in diesen Flusskreuzfahrtanzeigen in der „ADAC Motorwelt“ spannender. „Die Frage thematisieren wir …“? Oh, really? Was ist das hier, die Tagesordnung vom SPD-Ortsverein? Ich hätte jetzt wahnsinnig gern zwei Ouzo!

Außerdem geht es um Menschen, die Platten sammeln, Plattenläden in Bochum und um Plattenregale. Hatte ich zwei Ouzo gesagt? Können wir vier draus machen? Ach, es gibt auch einen Test mit Schallplatten­bügelmaschinen? Lassen Sie die Ouzo-Flasche doch einfach hier stehen!

Dann passiert etwas Merkwürdiges: Beim Lesen und Blättern in diesem sehr, sagen wir, unspektakulär aufgemachten Magazin, verschiebt sich eine Wahrnehmung, hin zu etwas, das mich in Wahrheit nie groß interessiert hat: Wer macht das eigentlich? Denn hinter den für mein Empfinden manchmal eher dröge geschriebenen Texten und stellenweise höherer Phrasendichte* wird irgendwann deutlich, dass das hier gar kein Magazin ist – es ist ein Fanzine. Diese Typen lieben ihre Platten, wissen alles darüber und finden derart viel wahnsinnig interessant an Plattenläden in Bochum und Dortmund, dass ich „Plattenhandel im Ruhrgebiet“ sofort als Studienfach einführen würde, wenn sie sagen würden, so etwas bräuchte es dringend. Und plötzlich macht sogar das Gefiddel über irgendeinen Plattenschrank Sinn, für den man bei einem Jörg den Plan zum Selberbauen erfragen kann. Hier schreiben Irre über Irre und wahrscheinlich für Irre, und wer sollte dem widerstehen?

Natürlich ist auf diesen ganzen Schallplatten auch noch was drauf, es geht also immer auch um Musik, wobei ich tatsächlich in der Geschichte über einen Händler hochwertigster Hifi-Elektronik gelernt habe, dass es Menschen gibt, deren Hobby eigentlich ihr Equipment ist und die Musik nur Mittel zum tollen Klang, was irre befriedigend sein muss. Dann habe ich über den indischen Gründer eines englischen Kult-Plattenlabels aus den Siebzigern gelesen, der verschwunden ist und von dem man eigentlich nur weiß, dass er wahrscheinlich nicht Farmer in Irland geworden ist.

Es ist ein Berg Plattenkritiken drin, und dabei kommen Kategorien vor wie das Presswerk, in dem die physische Schallplatte hergestellt wurde. Kurz: Wahnsinniges Zeug in einer eklektischen Mischung, und vielleicht ist es für mich als Außenstehendem faszinierender als für Vinyl-Szene-Mitglieder, oder wie auch immer sie sich nennen wollen, aber ich bin positiv überrascht. Es ist ein bisschen, als würde man ein Magazin „Dinner“ nennen, und dann sowohl über das Essen schreiben, als auch über die mehr oder weniger philosophischen Gespräche, die dabei stattfinden, und dann noch über die Esszimmermöbel (eigentlich gar keine schlechte Idee!).

Und eben alles aus der Warte von Fans: Eine Platte wird bei „Mint“ nur besprochen, wenn sie auch physisch vorliegt, auch wenn das heißt, dass sie wegen des Druckvorlaufs erst Monate nach der Veröffentlichung im Heft ist. Überall sonst ist das undenkbar, glaube ich, da werden Platten zum Erscheinungstermin besprochen oder gar nicht.

Vor der Plattenregalgeschichte steht die Warnung, dass man die Regale nicht selbst getestet hat, sondern nur Hersteller zusammengetragen. Welche Redaktion macht denn sowas? Sagen, was sie nicht wissen? Hut ab!

Insgesamt entsteht die Art von ernsthafter, auch harter Kritik, die nur echte Fans äußern dürfen – so wie es Dinge gibt, die ich über den HSV sagen darf, aber Stefan Niggemeier nicht, weil ich mich als Sechsjähriger in den HSV verliebt habe und seit 1986 Übergangssaisons spiele, während Stefan Niggemeier ein Subjekt ohne jeden Funken Fußballverstand ist, das nur über den HSV redet, um mich zu ärgern.

Das klingt jetzt alles, als würde ich glauben, das Heft wird von Amateuren gemacht, aber das meine ich gar nicht. Ich kenne niemanden dort, ich habe aber im Netz in einer der (teils vernichtenden) Kritiken zur ersten Ausgabe von „Mint“** gelesen, die Redakteure seien alle „gestandene Rock-Journalisten“, was sicher ein toller Menschenschlag ist. Allerdings finde ich, ehrlich gesagt, das Heft weder wirklich gut gestaltet noch gut geschrieben – aber das im Wortsinne Amateurhafte, die Liebhaberei, macht das wett. Es sind Frickler hier, die sich wahrscheinlich über den Klang einzelner Töne in zwei unterschiedlichen Kopfhörern bis ans Lebensende zerstreiten können. Nicht die größten Spezialisten der Form, aber des Inhalts. Im Zweifel ist das hoffentlich wichtiger.

Ich in meiner Eigenschaft als Hammer werde versuchen, das im Hinterkopf zu behalten: Man muss sich kein Heft ausdenken, nur weil gerade viele Leute irgendetwas machen. Sonst könnte man auch ein Klo-Magazin machen, dahin gehen schließlich alle täglich (wobei, eine Mischung aus Buch- und Zeitschriftenrezensionen gemischt mit Gesundheitstipps, Life-Hacks und lustigen SMS? Mein Arbeitstitel wäre „Ausscheidungsprinzip“?). Wahrscheinlich ist es sinnvoller, nach etwas zu gucken, das zumindest ein paar Leute richtig, richtig doll lieben. Und sie dann das Heft machen lassen. Mit der Form könnte man ihnen ja helfen. Und hinterher gibt’s dann Ouzo.

„Mint“
Dialog GmbH
4,90 Euro

*) Es ist nicht wichtig, aber ich rege mich seit Jahrzehnten darüber auf, einmal muss es raus: Wenn eine Plattenfirma oder sonstwer „voll durchstartet“, dann ist das nicht nur eine Phrase, sondern auch noch das falsche Bild. „Durchstarten“ ist, wenn ein Pilot eine Landung abbricht. Gemeint ist aber beim Plattenlabel einfach „Starten“ oder „Abheben“ oder so etwas. In was für einer Welt leben wir, in der Phrasen auch noch falsch sind?!? Ich hasse das noch mehr als multiple Satzzeichen!!!

**) Bin das nur ich oder klingt es so, als wären die Kritiker hier und hier vor allem sauer, weil sie nicht Chefredakteure von „Mint“ geworden sind? Just sayin’.

20 Kommentare

  1. „Ich lehne eigentlich alles ab, wo Irgendwas-Punkt-Null draufsteht“

    Klar. Punk-Null-Versionen überlässt man ja auch denen, die Spaß an noch halbkaputten Produkten haben. Man wartet mindestens auf die Punkt-Eins, wo dann zumindest die gröbsten Bugs behoben sind.

  2. „Writing about music is like dancing about architecture.“
    => Writing about music data media is like dancing about plotting boards?

  3. #12 ist mir schon zuvorgekommen, aber wo MP sich schon per Sternchenanmerkung über falsche Bilder auslässt, muss ich auch nochmal einhaken:

    Homöopathische Wirkweise soll „Gift in kleinen Dosen, das die Produktion von Antikörpern stimuliert“ sein? Äh, nein. Da ist nicht nur das Bild verquer (denn ich kann mir spontan keinen Editorial-Schreibstil vorstellen, der dieses Prinzip des „Gifts in kleinen Dosen“ umsetzt, was das Mint-Editorial ja aber wiederum gerade _nicht_ tut… puh, ein Glück dass MP hinterher noch sagt, was er eigentlich tatsächlich meint), sondern auch der zum Vergleich herangezogene Sachverhalt falsch. Homöopathie ist nicht impfen oder sonstwie Reizung des Immunsystems.

  4. Ich wünschte, dass Stefan Niggemeier hier mal ein Fußbllspiel kritisierte, als wärs ein Fernsehformat.

  5. Ich bin zwar ein bisschen spät Dran, aber Pantelouris ist Hsv-Fan?
    Das lässt meine Sympathien für ihn ins unermessliche schießen

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