Stimmliche Führungsqualitäten

Armin Laschet braucht ein Kanzler-Coaching – von Markus Söder

Armin Laschet und Markus Söder bei der Pressekonferenz am 11. April im Bundestag
Armin Laschet (links) und Markus Söder (rechts) bei der Pressekonferenz am 11. April im Bundestag Foto: Imago

Der Machtkampf in der Union um die Kanzlerkandidatur ist das „Godzilla vs. Kong“ des Politikbetriebs: Zwei Schwergewichte schlagen sich die Köpfe ein, verwüsten die Landschaft, verschrecken die Menschen, und ein bisschen unseriös wie der Monsterfilm wirkt das Theater in der Union ja auch gerade.

Exakt wie Godzilla und Kong nutzen Söder und Laschet dabei sehr unterschiedliche Waffen. Godzilla erbricht Blitze und Kong schwingt eine glühende Axt. Laschet „fräst sich mit Anrufen durch seine Partei“, wie das „Heute Journal“ formuliert, Söder dagegen mache Politik „wie ein Möbelpacker“, so schrieb es vor ein paar Jahren die Bayern-Korrespondentin des „Spiegel“, Anna Clauß, und am Sonntag dann Franz Josef Wagner.

Nur, was die beiden Politiker am allermeisten unterscheidet, hat bisher anscheinend keiner analysiert: ihre Stimmen.

Es soll hier also nicht um politische Inhalte und das geschriebene Wort gehen, sondern um eine Schlüsseltechnik guter Redner: Das stimmliche „auf den Punkt kommen“. Das heißt: Die Tonhöhe fällt zum Ende eines Satzes hin ab, und der Redner macht eine kleine Pause. Es ist die Tonlage des berühmten ersten „Tageschau“-Satzes: „Guten Abend, meine Damen und Herren.“ (Inzwischen erweitert um: „… ich begrüße Sie zur ‚Tagesschau‘.“) Ist es nicht seltsam, dass 15 Minuten bestehend Katastrophen, Düsternis und Wetterbericht irgendwie beruhigen? Die Ursache liegt auch am Stimmeinsatz im ersten Satz.

Sprechen auf den Punkt

Das Sprechen auf den Punkt beherrschen praktisch alle Menschen, die Ruhe und Autorität ausstrahlen: Neben Jan Hofer und Dagmar Berghoff etwa Barack Obama und Regierungssprecher Steffen Seibert. Obamas Kinder hätten ihn damit aufgezogen, dass er so langsam spreche, schreibt der Ex-Präsident in seinen Memoiren. Diese Kritik lässt sich präzisieren: Obama macht viele, sehr viele Sprechpausen und er kommt stimmlich immer wieder auf den Punkt.

Auch Regierungssprecher Seibert setzt in der Bundespressekonferenz bei seinen Antworten immer wieder recht hoch an und lässt seine Stimme zum Satzende absinken. So wie man beruhigend auf einen frisch kastrierten Hund einmurmelt. Hier zum Beispiel: „… ganz ruhig weiter an dem festhalten, was vernünftig ist“. Manchmal wird Seibert aber auch etwas strenger, so dass der Satz eher klingt wie ein strenges „jetzt ist aber auch mal gut“. Etwa hier: „… die Umsetzung, das ist immer so, obliegt bekanntermaßen den Ländern“. Die Stimme geht in beiden Fällen runter, es folgt eine Pause.

Und Kanzleraspiranten? Laschet senkt die Stimme praktisch nie, Söder schon – und das lässt den Rheinländer flatterhaft und den Bayer wie ein Baum erscheinen.

Aussagesätze, die wie Fragen klingen

Laschets Organ hat manchmal einen sogar flehentlichen, zugleich gereizten Ton. Wie im März 2020 bei Anne Will. Es ist die Tonlage von überforderten Eltern mit ihren Kindern in der Quengelzone beim Rewe. Es ist der Ehepartner, der sich wegen heikler Situationen rechtfertigt (Schlüpfer unbekannter Herkunft auf dem Küchentisch, unbekannte Zahnbürste im Becher). So reden allgemein aufgeregte, ängstliche Menschen, die fürchten, unterbrochen zu werden. Sie reden fast ausschließlich mit aufsteigender Tonhöhe, um auch dadurch zu signalisieren: „Ich bin noch nicht fertig, mein Superargument kommt gleich noch, LASS MICH AUSREDEN.“ Ihre Aussagesätze sind oft betont wie Fragen, zum Ende hin hoch: „Ist noch Butter im Kühlschrank?“

Laschet neben Söder reden zu lassen, ist deshalb so herzlos, wie einen Geigenschüler im ersten Jahr neben Anne-Sophie Mutter auf eine Bühne zu stellen. Leider hat die Union genau das gemacht und herausgekommen ist eine Pressekonferenz, die aus einem Schulungsvideo stammen könnte.

Ich habe im Folgenden einen Teil der Redebeiträge beider Politiker transkribiert und markiert. Kursiv ist eine Passage mit besonders hoher Stimme, fett ist tief, und ich markiere die PAUSEN. Man kann das parallel lesen, die Links sind schon zurechtgespult – lassen Sie, Leserinnen und Leser, sich einfach mal richtig verwöhnen. Man sieht aber schon an der Textstruktur, wo das Problem liegt.

Laschet:

„Ja, vielen Dank zunächst an Ralf Brinkhaus und Alexander Dobrindt für die Einladung, es ist eine gute Tradition, dass immer wieder die Parteivorsitzenden mit der Fraktion mit dem geschäftsführenden Fraktionsvorstand zusammentreffen, um über aktuelle Themen zu sprechen, und bei allem was vielleicht personell im Moment viele interessiert, ist die Frage, wie bewältigen wir die Coronakrise, das wichtigste Thema für die Menschen, äh, und … das hat auch im Mittelpunkt der Beratungen heute gestanden, hab ja in der letzten Woche vorgeschlagen, dass wie schneller machen, dass wir als Ministerpräsidenten zusammenkommen, dass wir einen Brückenlockdown brauchen, das war nicht möglich, jetzt werden wir schnell dieses Bundesgesetz bekommen, und … Markus Söder und ich sind uns auch darin einig, das muss so schnell wie möglich verabschiedet werden, denn die Virus…infektionslage lässt keine Zeit für lange Beratungen, wir brauchen eine schnelle Antwort, und das ist gut, dass hier die beiden Parteien und die Fraktion zusammenstehen. PAUSE

Das zweite große Thema …“

Söder:

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch von meiner Seite ein herzliches Grüß Gott.

ERSTE (große) PAUSE

Uns ist klar, dass wir in einer sehr ernsten Situation sind. Als Land, wir sind alle gestresst von Corona,

ZWEITE (kleine) PAUSE

die einen, weil sie tief besorgt sind aufgrund der gesundheitlichen Auswirkungen und die Corona noch für uns bereithält. Anderen ächzen auch unter den ganzen Maßnahmen, die stattfinden, und man spürt, es fällt keinem leicht.

DRITTE PAUSE.

Die Union selber ist in einer spannenden Situation, die Umfragen zeigen, es ist noch deutlich Luft nach oben, und es ist schon eine ernste Herausforderung für die Bundestagswahl, die in fünf Monaten ansteht.

VIERTE (kleine) PAUSE

Es sind nur noch fünf Monate, und deshalb kommt es darauf an, jetzt schon die Weichen richtig zu stellen, inhaltlich, aber auch personell.

FÜNFTE PAUSE

Unser Anspruch muss sein …“

148 Wörter brauchte Armin Laschet bis zum ersten Absenken der Stimme mit Sprechpause. Söder 14. Vierzehn! Auf etwa 120 Wörter machte der Bayer fünf deutliche Pausen und senkte sechs Mal die Stimme ab. Da Laschet sich keine Pausen gestattet, kommt es zu kurzem Stammeln, zu Ähs und kraftlosen Unds, mit denen Laschet seine Hauptsätze zu einer spannungsfreien Kette verbindet. Das Stammeln und die Ähs sind Geräusche, die das Hirn dem Sprechapparat aufgibt, wenn die Zeit nicht für den nächsten Satz reicht, der Redner aber partout ein paar Geräusche machen will.

Stimmliche Führungsqualität

Redestil ist keine Geschmackssache. Phonetiker haben begonnen, objektive Kriterien für eine charismatische Stimme herauszukristallisieren: Es sind vor allem Variationen in Tempo, Lautstärke und Tonhöhe, die einer Redner oder einer Rednerin Ausstrahlung verleihen. Der Inhalt entscheidet nur zur Hälfte, ob das Gesagte beim Gegenüber ankommt, lautet etwa das Ergebnis des Phonetikers Oliver Niebuhr.

Da es um die Wahl der mächtigsten Person im Staate geht, ist stimmliche Führungsqualität keine Kleinigkeit. Zudem ist Laschet Söder auch textlich unterlegen: Wie anderweitig geschrieben, neigt er zu seltsamen Bildern und verhakelten Formulierungen; er gibt sich als Politiker, der sich nicht inszenieren will – dabei inszeniert er sich durchaus, es misslingt ihm nur recht oft.

Die zitierten Sätze der Pressekonferenz zeigen auch einen Empathiemangel: Laschet redet zur Politik, Söder mit dem Volk („wir sind alle gestresst“). All diese Soft Skills erklären ganz gut, warum der Bayer so glänzend dasteht, obwohl er nicht unbedingt eine bessere politische Bilanz vorweisen kann und bei wichtigen Themen einen beachtlich kleinen Wendekreis hinlegte – etwa beim Umgang mit der AfD.

Kernaufgabe eines Kanzlerkandidaten

Öffentliches Auftreten ist die Kerntätigkeit eines Jobs als Kanzlerkandidaten. Laschet wird sich nicht mit Anrufen durch die Wahlberechtigten „fräsen“ können, er muss Menschen auch außerhalb seines Karnevalsvereins (CDU) erreichen, in der ganzen Bundesrepublik. Das (und vieles andere) unterscheidet die Landtagswahl im Jahr 2017, als Laschet den Umfragetrend im letzten Moment drehte, von der jetzigen Lage. Wird Laschet Kandidat, blüht ihm ein TV-Duell mit Annalena Baerbock oder auch Robert Habeck. Beide kommen stimmlich auf den Punkt.

Die Lösung liegt auf der Hand. Der Rheinländer sollte ein Coaching bei Söder buchen. Das legt auch die Handlung von Godzilla vs. Kong nahe: Da verbünden sich die Echse und der Affe am Ende auch, denn es taucht plötzlich ein eiskalter Roboter auf. Und auf Friedrich Merz hoffen sie in der Werteunion ja noch immer.

10 Kommentare

  1. „Da es um die Wahl der mächtigsten Person im Staate geht, ist stimmliche Führungsqualität keine Kleinigkeit“
    Nach 16 Jahren Höchstleistungen auf dem Gebiet Intonation und stimmiger Text durch Angela Merkel sind wir da vielleicht etwas sehr anspruchsvoll geworden.

  2. Es liest sich im vorletzten Absatz fast ein bischen so, als hätte sich Armin Laschet bei der Landtagswahl 2017 in der Tat mit Anrufen durch die Wahlberechtigten gefräst und damit die Wahl gedreht :-) eine sehr lustige Vorstellung.
    Was mich irritiert: Ist es nicht eigentlich sogar natürlich, die Stimme am Ende eines Satzes zu senken? Es wirkt echt skuril, vor allem, wenn man drauf achtet.

  3. Mich würde mal eine Aufarbeitung interessieren, wie Laschet es überhaupt so weit gebracht hat. Ein originaler Nichtskönner, der anscheinend nichtmal soft skills beherrscht wird Vorsitzender der leider immer noch größten sogenannten Volkspartei in Deutschland und hat wahrscheinlich trotz allem immernoch Chancen auf das Kanzleramt, die größer null sind.

  4. Ein ausgezeichneter, lehrreicher Artikel!
    Irgendwie spiegelt (oder erzeugt?) dieser Unterschied in der Phonetik ganz gut das Problem wieder, was zumindest ich (nicht CDU-Wähler aus NRW) mit Laschet habe und was ich irgendwie an Söder schätze: Letzterer mag vielleicht ein rückgratloser, opportunistischer Wendehals sein, aber immerhin darf man dabei das Gefühl haben, dass er wenigstens das kann, und zwar mit einer gewissen Souveränität. Bei Laschet weiß ich gar nichts. Ich habe nämlich auch nicht den Eindruck vermittelt bekommen, als habe er eine Position oder Haltung, die nur mangelhaft kommuniziert wird. Laschets Wahl in NRW war eben auch Ergebnis der Unzufriedenheit mit der bisherigen Regierung und einer Law-and-Order-Inszenierung gegen ebendiese Regierung. Das dürfte im September weniger gut funktionieren.

  5. Irgendwo las ich mal, dass die Stimme wichtiger als die Argumente sind, wenn man jemanden überzeugen will, aber die Körpersprache wichtiger als die Stimme.

  6. Blöd halt nur, dass das so einfach trainierbar ist mit der stimmlichen Autorität. Donald Trump strahlte das nämlich, vom wirren Inhalt seiner Sätze mal ganz absehend, durchaus meist aus. Wenn Sie kein oder schlecht Englisch können und/oder keine Ahnung hatten, worum es geht, dachten Sie meistens: Der hats im Griff. Ich weiss nicht, ob er mal einen Sprechtrainer hatte, glaube mich aber zu erinnern, dass er in den 70ern noch wesentlich flatteriger sprach. Und Hitler hatte einen Schauspiellehrer. Der Laschet leitet sein Bundesland wohl wesentlich durchdachter als Trump die USA, aber The Donald kam souveräner rüber. Kann mir mal jemand erklären, was das bedeutet? Hier sind doch immer die vielen schlauen Erklärbären.

  7. Ich fand Donald Trump rhetorisch und inhaltlich in Reden katastrophal, aber das eher gesteuert auch durch das niedrige sprachliche Niveau als durch die Stimmlage. Ob ich das bei weniger Kenntnis und Erfahrung mit der englischen Sprache anders betrachtet hätte, wäre in der Tat eine interessante Frage.

  8. Wieso haben eigentlich Journalisten den Zwang ganz normale demokratische Vorgänge wie die Findung eines Kanzlerkandidaten zu schildern als würde hier jetzt was ganz schlimmes ablaufen und die Kandidaten würden irgendwas „zerstören“. Was ist denn das immer für ein völlig absurder, dämlicher und demokratiefeindlicher Unsinn.

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