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Hoffnung für die Hoffnungslosen

Wir müssen jetzt kurz mal ein bisschen tapfer sein, denn wirklich alles, was jetzt kommt, funktioniert nur unter einer Prämisse: Es gibt Engel, die über uns wachen. Unsere Schutzengel zum Beispiel. Engel sind von Gott gesandt und etwas sehr, sehr tolles, auch wenn sie nicht ganz so göttlich sind wie wir selber, weil sie, im Gegensatz zu uns, keine Seele haben, also nicht den „Lichtfunken Gottes.“ Alles klar soweit? Dann können wir uns jetzt dem „Engel Magazin – mehr Licht und Freude in deinem Leben!“ zuwenden.

Und alle so: Yeah!

Ich würde das Konzept vorsichtig so zusammenfassen: Das Leben ist toll, weil es Engel gibt, und wenn das Leben mal nicht toll ist, dann ist es trotzdem toll, wegen der Engel, und außerdem: Engel!

Auf der Titelseite ist ein rötlich-gelbes Meer im Sonnenuntergang zu sehen, davor Vögel. Titelgeschichte: Lebe das Glück der Stille"

Der Realität des Heftes werde ich so aber nur teilweise gerecht, weil es mir nicht gelungen ist, in dem Satz oft genug Engel zu erwähnen. Im Magazin „Engel“ hingegen schreiben Engel das Editorial an die „Lieben Menschen“*, und die Botschaft ist eindeutig: Wir müssen mehr aufräumen, auch die Wohnung. Es ist unheimlich, was die alles wissen.

„Engel“ hat ein bisschen das Problem aller Fanzines, nämlich dass es schwierig ist, ein so monothematisches Heft zu machen, in dem das Thema nicht in jeder Headline auftaucht. Ein doch eher enges Thema wie „Engel machen mein Leben schön“ treibt das Problem noch auf die Spitze, weil es offenbar schon schwierig ist, so ein Heft zu machen, ohne dass in jeder Geschichte das gleiche drinsteht.

So enthält „Engel“ sowohl die Geschichte „Woher weiß ich, dass ein Engel mit mir redet?“**, als auch „Wie Engel mit uns sprechen“***. Mir ist auch der Unterschied der „Engelbotschaften für den September“ nicht klar genug unterscheidbar von dem Horoskop, das hier „Die Planeten-Engel“ heißt, aber vielleicht liegt das an mir. Hatte ich erwähnt, dass das Wort „Engel“ sehr häufig vorkommt? Sehr, sehr häufig. Aber, hey, es ist das „Engel Magazin“!

Doppelseite des "Engel Magazins" mit der Überschrift: "Wie Engel mit mir sprechen"

Es juckt wahnsinnig, sich darüber lustig zu machen, aber erstens tun diese herzensguten Menschen ja niemandem etwas, zweitens lache ich den ganzen Tag, wenn ich mir vorstelle, dass das hier immerhin die Leitkultur ist, von der Anti-Islam-AfDler reden, wenn sie das Vaterland verteidigen, und drittens ist „Engel“ in Wahrheit das vielleicht traurigste Magazin, das ich jemals gelesen habe. Denn dass durch Engel alles toll ist, ist ja nötig, weil ohne sie alles total scheiße ist.

Die Geschichte „Das Kind, das mir die Engel schenkten“ ist geschrieben von einer jungen Frau, die sich mit ihrem wirklich zauberhaften Kind in einer Art ätherischer Sommernachtstraum-Inszenierung fotografieren lässt und davon schreibt, dass alles super ist, obwohl sie eine nicht näher erläuterte schwere Krankheit hatte. Als sie dann entgegen aller Wahrscheinlichkeiten trotzdem das Kind hatte, ist der Vater abgehauen, was super ist, weil die Engel ihr die Kraft gegeben haben, ihn gehen zu lassen**** – und was für eine erfüllende Knüller-Erfahrung ist das denn bitte?

Doppelseite mit der Überschrift: "Die Planeten-Engel für September und Oktober"

In einer anderen Geschichte schickten Engel einem depressiven, alkoholkranken Ex-Polizisten irgendwie ein Pferd*****, und das hat ihm neuen Lebenssinn gegeben und ihn geheilt. Diese Engel kommen offenbar erst, wenn alles kaputt ist. Man möchte ihnen zurufen: „Prävention, ihr Engel, ihr müsst mehr für die Prävention tun!“ Aber was weiß ich, wie schlimm es ohne sie wäre.

Das ist also „Engel“: Ein Magazin mit Hoffnung für die Hoffnungslosen, und was könnte man dagegen haben? Wenn es hilft, bin ich dafür, und man merkt an dieser Aussage, dass „Engel“ das seltene Kunststück gelingt, ein Magazin zu sein, das selbst ich nach seiner Botschaft bewerte und nicht nach seinem Unterhaltungswert oder seiner Gestaltung.

Es erwischt mich an meinem Zynismus, was sicher das falsche Bewertungskriterium ist, denn wer nicht an Engel glaubt, sollte und wird es schlicht nicht lesen. Und ich habe in verzweifelten Zeiten schon traurigere Sachen gemacht, als an Engel zu glauben. Es ist nie etwas falsch an Hoffnung.

Ich wünschte nur, man müsste nicht so penetrant sagen, wie toll das Leben ist, wenn man in Wahrheit das Gegenteil meint.

Engel Magazin
5 Euro
Mondhaus-Medien GmbH

* „Die Botschaften der Engel wurden empfangen von Sonja Ariel von Staden“

** „Mein Herz kannte die Antwort“

*** „Mein liebstes Tool, um mit Engeln zu kommunizieren, sind Engelkarten.“ Aber „Engel kommunizieren über Zeichen“, und „manchmal ist es nur ein Zucken [im Körper der Autorin], das ihr eine Antwort der Engel vermittelt.“

**** Damit sich der Depp seinen Traum von der Musik erfüllen kann. Ich nenne ihn Luzifer, und bin sicher, er spielt esoterische Schlager bei irgendwelchen Karma-Zeremonien. Und über seine Haare möchte ich nicht mal nachdenken.

***** Das ist dann schon irgendwie konkreter als nur ein Zucken im Körper, finde ich.

9 Kommentare

  1. Engel sind kein Alleinstellungsmerkmal des christlichen Abendlandes; insbesondere im Koran wird diverse Male von Engeln berichtet.

    Aber ja, die AfD denkt bestimmt, dass „Engel“ das christliche Abendland darstellt, und alle anderen betreiben kulturelle Aneignung, wenn sie das lesen. *g*g

  2. „Was könnte man dagegen haben?“

    Vielleicht, dass dieses Magazin Menschen verdummt? Ich finde Marx‘ Diktum von der Religion als Opium des Volkes in der Pauschalität zwar falsch (naja, sonst wäre ich ja auch kein Christ), aber auf große Teile der Esoterik und speziell dieses Magazin trifft es zweifellos zu. Gut, immerhin besser als Eso-Richtungen, die Menschen grundlose Schuldgefühle einreden, aber trotzdem…

    „Wenn es hilft, bin ich dafür“

    Klingt wie die Standardrechtfertigung von Homöopathen…

    @Anderer Max: Mich erinnert es eher an Tocotronic: https://www.youtube.com/watch?v=e1szcpyzsAE

  3. @3:
    „Wer heilt hat recht“ – Und wer würgt, dem ist schlecht. ;)

    Hier muss ich aber widersprechen:
    „immerhin besser als Eso-Richtungen, die Menschen grundlose Schuldgefühle einreden“
    Die Größe der Sekte bestimmt ja nicht deren Sinnlosigkeit.
    Sprich: Ob Homöopathie oder Christentum – Alles nur Glauben, egal wieviele dran glauben.

    Außerdem: Christentum redet keine Schuldgefühle ein?
    Erbsünde? Sohn Gottes gekillt? Ablassbriefe? Beichte? „Sünde“?

    Dann doch lieber Zuckerkügelchen, die machen wenigstens kein schlechtes Gewissen.

  4. Die Zeitung Engel redet einem keine Schuldgefühle ein, soweit ich das überblicke.
    Und nach meiner persönlichen Einschätzung, als halbwegs erwachsener Mensch sollte man zwischen Schuldgefühlen und Gewissensbissen unterscheiden lernen.

    Der Punkt, wo ich tendenziell dagegen bin, „Esokram“ zu verurteilen, ist der, ab dem es im Grunde heißt: „Ich bin dagegen, dass Du auf Deine Art glücklich wirst, lebe gefälligst auf meine Art, auch wenn’s Dich unglücklich macht.“

  5. Die Zeitung Engel redet einem keine Schuldgefühle ein, soweit ich das überblicke.
    Und nach meiner persönlichen Einschätzung, als halbwegs erwachsener Mensch sollte man zwischen Schuldgefühlen und Gewissensbissen unterscheiden lernen.

    Der Punkt, wo ich tendenziell dagegen bin, „Esokram“ zu verurteilen, ist der, ab dem es im Grunde heißt: „Ich bin dagegen, dass Du auf Deine Art glücklich wirst, lebe gefälligst auf meine Art, auch wenn’s Dich unglücklich macht.“

  6. „…dass das hier immerhin die Leitkultur ist, von der Anti-Islam-AfDler reden, wenn sie das Vaterland verteidigen,…“
    Einerseits.
    Andererseits: Wie können sie dann gegen Angie sein?:
    „Angela ist die weibliche Entsprechung zu lateinisch angelus ‚Bote‘, ‚Engel‘, abstammend vom altgriechischen ἄγγελος ángelos; das wiederum vermutlich mit altpersisch angaros ‚reitender Eilbote‘ verwandt ist.“ (Quelle: wikipedia)

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