Internetgedöns

Die Piefigkeit des Fernsehlandes

Eigentlich wollte ich heute eine Art Algorithmus-Follow-Up zur Kolumne von vergangener Woche schreiben. Weil so viel diskutiert wurde. Nicht nur hier. Sondern auch auf Facebook. Und Twitter. Überall natürlich völlig unterschiedlich. Und vor allem hinter „Ich liebe wie Du schreibst“ – „Ich hasse wie Du schreibst“ wurde es wirklich spannend.

Und ja, ich schreibe „mariesk“ – wie mein Mann das umschreibt – und werde dies auch in Zukunft tun. Aber gerade weil ich finde, dass Diskussionen über das Thema so wichtig sind und ich hiervon niemanden durch meine Verschachteleien abschrecken wollte, sah ich mich klare, eindeutige Punkte schreiben.

Punkte ohne Verschachtelungen.

Erstens, zweitens, drittens.

Bähm. Bähm. Bähm.

Dann kam auch noch Buzzfeed. Mit seiner Twitter Algorithums-Meldung. Und die Punkteliste wurde in Gedanken immer länger. 

Doch dann verabschiedete sich mein Rechner in eine Art unangekündigten Schlafurlaub, aus dem er nicht gedachte, sich von mir erwecken zu lassen.
 Ich bekam diesen typischen „Oh die heilige verfickte Scheiße“-Anfall, den Menschen wie ich bekommen, wenn ihr Rechner sich verabschiedet. Menschen wie ich. Die irgendwas mit Medien machen. Und davon leben, dass ihr Rechner sich nicht verabschiedet. Sondern ihnen treu zur Seite steht. Menschen wie ich. Die eigentlich alt genug sind, um inzwischen regelmäßige Backups zu machen. Menschen wie ich. Die aber zu viel arbeiten, um an Backups zu denken. Oder wie mein Mann wieder sagen würde: mariesk chaotisch sind.

Auf jeden Fall schlief mein Rechner ein und ich verbrachte den Rest meiner freien Zeit damit, ihn wieder aufzuwecken. Während sich alle Menschen um mich herum ein Beispiel an mir nahmen. Und ihre Rechner backupten.

In der ganzen Wiederbelebungszeit installierte ich neue Betriebssysteme, die sich dann wieder nicht mit meinem Schnittprogramm vertrugen und anders herum, telefonierte alle meine „Irgendwas-stimmt-mit-meinem-Rechner-nicht-HILFE!“-Telefonjoker ab, ließ ihre: „Du-musst-wirklich-regelmäßigere-Backups-Machen-Marie-Mahnerei“ über mich ergehen. Und fluchte. Sehr. Viel.

Auch gestern. Ich fluchte eigentlich den ganzen Tag. Und ich weiß nicht, ob ich mich mehr über die Technik ärgerte. Oder über mich. Aber auf jeden Fall fluchte ich. Und war wirklich nicht gut druff. Was den Mann irritierte, weil ich eigentlich eine Art marieske Schlechte-Laune-Schutzwand habe, wie er sagte, während ich fluchte. Und er die Übertragung der Goldene Kamera anmachte.

Piefig

Ich musste meinen Rechner fit bekommen. Ein Video schneiden. Und schimpfen. Und auf einmal war ich nicht mehr allein mit der Schimpferei. Ganz Twitter schimpfte über die Piefigkeit der Veranstaltung und schämte sich mit mir fremd. Sie lästerten übers Fernsehland und dass man sich nicht wundern kann, dass da nur Scheiße läuft. Wenn man diese Veranstaltung so verfolgt.

Wir schimpften also alle so vor uns hin. Und dann. Dann wurde der Nachwuchspreis verliehen. Ich saß am Esstisch und sah unsere Beamer-Leinwand (moderne Medienleute haben kein Fernsehgerät mehr, versteht sich) nur aus dem Augenwinkel. Aber das reichte. Um den klein in der Ecke eingeblendeten Edin zu sehen.

Ich stand auf. Vergaß, dass ich eigentlich gar nicht gut druff war. 
Und spätestens als Edin auf der Bühne mit seiner Leidenschaft und Kraft alles einriss, was da war. An Piefigkeit. Und ich – gemeinsam mit dem Mann und Twitter so feierte, dass ich ein paar Tränen verdrückte – da war mir klar, dass ich heute keine Punkte-Listen verfassen würde.

Denn ja, die Veranstaltung war piefig. Und etwas peinlich. Und ja – es gab Momente, da dachte ich mir: Gut, dass ich da grad nicht sitzen muss. Mit einer Kamera auf meinem Gesicht. Und mir nicht anmerken lassen darf, wie beschämt ich von alledem bin. Aber ganz ehrlich? 

Wenn da ein Mensch wie Edin auf die Bühne kommt und mit seiner ganzen Energie alles wegballert,
wenn Dunja Hayali mich mit ihrer Power berührt 
und Jörg Winger bei seiner Dankesrede die Stimme bricht…

…dann kann solche Menschen die Piefigkeit vom deutschen Fernsehland nicht aufhalten. Und dann ist es eigentlich auch verfluchte Scheiße noch mal völlig egal, ob sie im Fernsehen laufen. Oder auf der Leinwand. Oder (wie Edin gerade in der von meinem Mann produzierten Webserie Familie Braun) auf Youtube. Solange es kreative Menschen mit Power gibt, wie sie. 

Denn dann fluche ich auf einmal, nicht mehr vor Frust. Sondern vor Leidenschaft.
 Dann vergesse ich, dass ich eigentlich Listen schreiben wollte – und scheiße drauf war. 
Twitter vergisst, zynisch zu sein – und Fernsehland, piefig.

Denn zumindest mir wird in solchen Momenten klar, dass es unterm Strich nicht auf das Medium ankommt. Sondern auf die Menschen, die es bespielen. Und da waren gestern einige dabei, die die Backup-Platte des deutschen Fernsehlandes sein könnten.

(Keine Angst. Der Pathos ist bis nächste Woche bestimmt verflogen. Ich muss ja den Rechner noch fertig wiederbeleben. Und werde dann gewiss umemotionale Punkte-Listen zu meinen Algorithmus-Gedanken verfassen.)

 

10 Kommentare

  1. Den Artikel selbst finde ich ja sehr niedlich – da gibt’s nix.

    Aber, daß ich beim Klicken auf den (bis dahin) unverständlichen Begriff »Edin« ohne jede Vorwarnung (!) zum(ins Fratzenbuch katapultiert wurde, das ärgerte mich sehr. Sehr!
    Weil: no go, für mich.

    Will sagen: etwas mehr »Klar«text, wenn schon verlinkt wird, wäre arg fein.

  2. Der eitle Stolz darauf, wahnsinnig viel zu arbeiten: „Menschen wie ich. Die aber zu viel arbeiten, um an Backups zu denken.“ Hey, auch Euer Tag hat nur 24 Stunden. Macht was Schönes draus. Und wenn Ihr wirklich so viel arbeitet, dass es eine Erwähnung im Text rechtfertigen könnte: Lasst es einfach sein. Niemand interessiert sich dafür.

  3. Guten Morgen, lieber @ANDI,
    dieser Text enthält einige selbstironische Passagen. Herzlichen Glückwunsch – eine davon hast Du direkt gefunden… Soll ich dich mit den anderen spoilern, oder willst Du selber weiter suchen? :D

  4. Guten Morgen @JENS,
    Ich wollte Dich mit der Verlinkerei gewiss nicht verärgern. Und denke mal nach, wie man das in Zukunft lösen kann! Deal?

  5. @Marie Ganz einfach. Hinter einem Link in Klammern das Ziel angeben.
    Beispiel (Facebookseite von Beispiel).

  6. Ich habe nix zu meckern. Ich habe den Text gerne gelesen (auch, wenn ich selbst Fan von verschachtelten Sätzen bin ;-) ) , weil ich einfach gerne lese, wie Du über das, was um die herum geschieht, nachdenkst und Deine Gedanken dann entweder kreativ niederschreibst oder anderweitig kreativ wirst. Dafür mal ein dickes DANKESCHÖN, liebe Marie, und auf der nächsten Veranstaltung traue ich mich bestimmt auch mal „hallo“ zu Dir zu sagen. Das ist mir im Babylon leider nicht gelungen, weil ich ein bisschen geflasht war, so viele Leute, die ich mir sonst gerne auf Youtube ansehe/-höre auf einem Haufen versammelt zu sehen. Viele Grüße :)

  7. In letzter Zeit mal die Emmys oder Golden Globes geschaut? Die sind auch längst nicht mehr das, was sie zeitweise waren. Im Vergleich dazu fand ich die Goldene Kamera (die ich seit Jahren mal wieder angeschaut habe), mit einigen Abstrichen, recht unterhaltsam. Aber ich habe natürlich auch auf die begleitenden Kommentare der Berufsnörgler auf Twitter verzichtet.

  8. @Marie Meimberg

    Danke, Marie, dass Du überhaupt reagiertest auf meine wenig konstruktiven Worte.
    Gern ginge ich auf einen »deal« ein, doch wäre Dir der Preis vermutlich zu hoch: KEINE links auf Facebook o. ä.
    Mein Einsatz wird lauten (auch ohne Tauschhandel): nur nicht draufklicken, wenn’s bläulich unterlegt ist.
    Schade um die Fälle, in denen Infos verborgen bleiben.

  9. @1 Jens: Bei den meisten Browsern kannst du einstellen, dass dir das Ziel eines Links in der Statusleiste angezeigt wird. Und dann kann einen kaum noch ein Link überraschen, sondern man führt die Maus drüber, guckt wo es hingeht und klickt, wenn man da hin möchte. Ausnahmen sind die dämlichen URL-Verkürzer, aber auch für die gibt es technische Möglichkeiten mit diversen Browser-Plugins (meist mit Unshorten im Name).
    Alternativ kann man sich auch mit der hosts-Datei (nähere Infos siehe Google) Seiten, auf die man gar nicht möchte, blacklisten.
    Also, wenn ein Facebook-Link so ein Problem für dich ist, dann nimm das Problem doch einfach in deine eigenen Hände. Ist vermutlich die leichtere Lösung, als das Internet zu bekehren Links, wie von dir beschrieben, zu kennzeichnen.

  10. @Holger #9 – hast ja recht. Bei mir ist wohl ein solcher Verkürzer am Werk; abschalten kann (und will) ich ihn aber nicht.
    (man könnte schlicht die links unverkürzt einfügen, das käme meiner Vorstellung von Offenheit der Verfasser und Vertrauen auf die Mündigkeit der Anwender sehr entgegen)

    Da ich indes über keinerlei Sendungsbewußtsein verfüge, bekehre ich niemanden, nicht einmal das Internet (grins) – aber um alles, was irgend zu FB führen könnte, schlage ich einfach (m)einen Selbsthilfe-Bogen.

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